Entscheidungsstichwort (Thema)
Entkleidung. geschlossener Raum. körperliche Durchsuchung. Schamwand. Vorhang. Mit Entkleidung verbundene Durchsuchung
Leitsatz (amtlich)
1. Mit der Einführung des Hessischen Strafvollzugsgesetzes am 1.11.2010 liegt der Zulassungsgrund der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nach § 116 Abs. 1 StVollzG nur noch bei divergierenden Entscheidungen im Anwendungsbereich dieses Gesetzes vor. Eine Divergenzvorlage nach § 121 Abs. 2 GVG scheidet selbst dann aus, wenn ein OLG von der Rechtsprechung des OLG eines anderen Landes zu einer in beiden Ländern wortgleichen landesrechtlichen Vorschrift abweicht.
2. § 46 Abs. 2 Satz 4 HStVollzG gebietet, dass im konkreten Einzelfall die Durchsuchung in einem Raum stattfindet, dessen Türen geschlossen sind, in dem keine Mitgefangenen anwesend sind und den diese während der Durchsuchung auch nicht betreten können. Vorhänge oder andere Abtrennungen, die lediglich die Sicht auf die Durchsuchung verhindern, genügen stattdessen nicht.
Normenkette
HStVollzG § 46 Abs. 2; StVollzG § 84 Abs. 2, § 116 Abs. 1; GVG § 121 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Gießen (Aktenzeichen 2 StVK-Vollz 373/11) |
LG Gießen (Aktenzeichen 2 StVK-Vollz 508/11) |
LG Gießen (Aktenzeichen 2 StVK-Vollz 509/11) |
LG Gießen (Aktenzeichen 2 StVK-Vollz 372/11) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Leiters der JVA O1 gegen den Beschluss des Landgerichts Gießen vom 19. Juli 2011 wird verworfen.
Die Kosten des Verfahrens fallen der Staatskasse zur Last, die auch die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Strafgefangenen zu tragen hat.
Der Gegenstandswert wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 900, -- € festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller wendet sich gegen mit einer Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchungen aus Anlass zuvor empfangenen Besuchs.
Die Strafvollstreckungskammer hat mehrere in diesem Zusammenhang gestellte Anträge des Strafgefangenen auf gerichtliche Entscheidung zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Mit Beschluss vom 19. Juli 2011 in Verbindung mit dem Berichtigungsbeschluss vom 26. August 2011 hat das Landgericht - unter anderem - entschieden, dass die Durchsuchungen des Antragstellers vom 28. April 2011, vom 5. Mai 2011 und vom 6. Mai 2011 rechtswidrig gewesen sein.
Hiergegen wendet sich der Leiter der JVA mit seiner Rechtsbeschwerde. Im Übrigen nimmt er die Entscheidung des Landgerichts, auch soweit sie zugunsten des Antragstellers ausgefallen ist, hin. Er beanstandet als Verletzung materiellen Rechts, dass die Strafvollstreckungskammer von einem unzutreffenden Begriff des "geschlossenen Raumes" im Sinne von § 46 Abs. 2 Satz 4 HStVollzG ausgegangen sei, der von der Rechtsprechung des OLG Celle zur wortgleichen Vorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 3 StVollzG (OLG Celle NStZ 2005, 587) abweiche. Die Strafvollstreckungskammer überspanne die Anforderungen, die an einen "geschlossenen Raum" zu stellen seien.
Das Rechtsmittel ist zulässig.
Allerdings liegt auch mit Blick auf die abweichende Rechtsprechung des OLG Celle der Zulassungsgrund einer Gefährdung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nach § 116 Abs. 1 StVollzG nicht vor. Mit der Einführung des Hessischen Strafvollzugsgesetzes am 1. November 2010 greift dieser Zulassungsgrund nur noch bei divergierenden Entscheidungen im Anwendungsbereich des Strafvollzugsgesetzes des Bundes ein. Der Gesetzgeber hat sich mit der Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz auf die Bundesländer bewusst für die Möglichkeit der unterschiedlichen Ausgestaltung des Strafvollzugs in den einzelnen Bundesländern entschieden. Daraus folgt notwendiger Weise auch eine unterschiedliche Ausgestaltung und Auslegung durch die Rechtsprechung (vgl. HansOLG Hamburg BeckRS 2008, 17821).
Die Rechtsbeschwerde ist jedoch gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, weil der vorliegende Fall Anlass bietet, Leitsätze für die Auslegung der Vorschrift des § 46 Abs. 2 HStVollzG aufzustellen.
In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
Nach den nicht angegriffenen Feststellungen der Strafvollstreckungskammer hatte der Antragsteller an den genannten Tagen Besuch von einer ehrenamtlichen Betreuerin erhalten. Im Anschluss an diese Besuche erfolgte jeweils nach Einzelanordnung des Anstaltsleiters eine Durchsuchung des Gefangenen, bei der er sich vollständig entkleiden musste. Die Durchsuchungen finden regelmäßig in einem Raum im Bereich der Innenpforte statt, dessen Ausgang mit einem Vorhang versehen ist, der während der Durchsuchung zugezogen wird. Darüber hinaus ist eine Schamwand aufgebaut, hinter der die Entkleidung erfolgt. Der Kontrollraum besitzt einen weiteren Durchgang zu einem Nebenraum, in dem Automaten aufgestellt sind, aus denen Gefangene nach Besuchen Genussmittel erwerben können. Dieser Durchgang ist weder mit einem Vorhang noch einer Tür versehen.
Nach Auffassung der Strafvollstreckungskammer haben die Durchsuchungen aufgrund der beschriebenen baulichen Beschaffenheit nicht in einem geschlossenen Raum im Sinne des § 46 Abs. 2 Satz 4 StVollzG stattgef...