Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorliegen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 FamG
Leitsatz (amtlich)
Eine "gesetzliche Unterhaltspflicht" i.S.v. § 231 Abs. 1 Nr. 1 FamG ist auch Gegenstand des Rechtsstreits, wenn eine Mutter von ihrem Sohn eine Unterhaltsrente verlangt, die ihre Grundlage in einem Vertrag über eine Grundstücksschenkung zwischen ihnen hat, in dem der Sohn sich für den Fall, dass seine Mutter "in eine finanzielle Notlage gerät oder aber ihre Einkünfte zu Aufrechterhaltung ihres bisherigen angemessenen Lebensstandards nicht mehr ausreichen", zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet ist.
Normenkette
GVG § 23a Abs. 1 Nr. 1, § 111 Nr. 8; FamFG § 231 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Urteil vom 01.06.2011) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen das am 1.6.2011 verkündete Urteil des LG Wiesbaden - 5. Zivilkammer - aufgehoben.
Die für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten funktionell zuständigen Spruchkörper der ordentlichen Gerichtsbarkeit sind für die Entscheidung über die Klage nicht zuständig.
Der Rechtsstreit wird an das AG Wiesbaden - Familiengericht - verwiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt den Beklagten aus abgetretenem Recht der Mutter des Beklagten i.H.v. 18.000 EUR auf Zahlung einer Unterhaltsrente in Anspruch, die in einem notariellen Grundstücksschenkungsvertrag vereinbart worden ist.
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
Das LG hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil nach den § 23a Abs. 1 Nr. 1 GVG, 111 Nr. 8 und § 231 Abs. 1 Nr. 1 FamFG die ausschließliche Zuständigkeit der Familiengerichte begründet sei.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre Klage weiterverfolgt und die Auffassung vertritt, dass keine "Unterhaltssache" im Sinne der Zuständigkeitsnormen gegeben sei, weil nicht eine gesetzliche Unterhaltspflicht geltend gemacht werde. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Berufungsbegründung vom 22.8.2011 (Bl. 256 - 263 d.A.) verwiesen.
Der Senat hat durch Beschluss vom 14.12.2011 darauf hingewiesen, dass er gleichfalls die Zuständigkeit der Familiengerichte als begründet ansieht und beabsichtigt, die Sache an das zuständige Familiengericht zu verweisen.
Hierzu hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 14.1.2012 Stellung genommen (Bl. 323 - 325 d.A.).
II. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin führt unter Aufhebung des landgerichtlichen Urteils zur Verweisung des Rechtsstreits an das Familiengericht, weil nicht die funktionelle Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, sondern die der Familiengerichte für Unterhaltssachen gegeben ist.
1. Das LG hat zutreffend angenommen, dass für die Klage nach § 23a Abs. 1 Nr. 1 GVG in Verbindung mit den §§ 111 Nr. 8, 231 Abs. 1 Nr. 1 FamFG das Familiengericht sachlich zuständig ist, weil es sich um eine Unterhaltssache handelt.
a) Eine "gesetzliche Unterhaltspflicht" i.S.v. § 231 Abs. 1 Nr. 1 FamG kann auch dann Gegenstand des Verfahrens sein, wenn der Anspruch aus einer vertraglichen Regelung der Parteien hergeleitet wird, wie dies hier mit der Bestimmung in § 6 des notariellen Vertrages vom 23.10.1985 der Fall ist. Eine vertragliche Unterhaltspflicht nimmt dem Verfahren nur dann nicht den Charakter als gesetzliche Unterhaltssache, wenn es sich um einen selbständigen vom Gesetz losgelösten Unterhaltsanspruch handelt, den das Gesetz in dieser Form nicht kennt (BGH NJW 1978, 1924; BGH NJW 1979, 2046; BGH FamRZ 1985, 161). Demgegenüber trägt eine Vereinbarung den Charakter einer gesetzlichen Unterhaltspflicht, wenn sie einen vom Gesetz gewährten Anspruch lediglich modifiziert. Für die Abgrenzung zwischen dem gesetzlichen und dem "rein vertraglichen" Unterhaltsanspruch kommt es nach der vom LG zugrunde gelegten Entscheidung des BGH vom 5.11.2008 (NJW-RR 2009, 434 = FamRZ 2009, 219) darauf an, ob die vertragliche Regelung hinsichtlich der Voraussetzungen, des Umfangs und des Erlöschens des Anspruchs die im gesetzlichen Unterhaltsrecht vorgegebenen Grundsätze aufnimmt und - wenn auch unter vielleicht erheblicher Modifikation - abbildet.
b) Bei der Regelung in § 6 des notariellen Vertrages handelt es sich nach diesen Maßstäben um eine gesetzliche Unterhaltsregelung.
aa) Dem steht nicht entgegen, dass die Unterhaltsregelung im Zusammenhang mit einem Grundstücksgeschäft steht und Teil der Gegenleistung für die schenkungsweise Übertragung sein kann. Zwar betreffen die Entscheidungen des BGH, in denen es um die vorgenannte Abgrenzung ging - soweit ersichtlich - bislang ausschließlich Eheverträge oder Scheidungsfolgenvereinbarungen, also Gestaltungen i.S.v. § 231 Abs. 1 Nr. 2 FamFG. Die Grundsätze für die rechtliche Einordnung als "gesetzliche Unterhaltspflicht" gelten jedoch in gleicher Weise auch für Verträge zwischen Verwandten, die zugleich andere Gegenstände (hier: Grun...