Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzüge nach dem Nettoprinzip des § 17 Abs. 4 S. 1 OWiG
Leitsatz (amtlich)
1. Das mit § 17 Abs. 4 S. 1 OWiG verwirklichte Nettoprinzip gebietet es, von den durch die Tat erlangten wirtschaftlichen Zuwächsen die Kosten und Aufwendungen des Betroffenen abzuziehen. Abzugsfähig sind diejenigen Aufwendungen, die durch den Erwerbsvorgang veranlasst bzw. im unmittelbaren Zusammenhang mit der zu ahndenden Tat entstanden sind. Erforderlich sind im Rahmen einer nur groben Schätzung nachprüfbare einschlägige Angaben in den Urteilsgründen.
2. Dem Abzug steht es grundsätzlich nicht entgegen, dass die Aufwendungen zu einem rechtlich missbilligten Zweck erfolgten. Allein aus der Unzulässigkeit des Verhaltens - hier: der Überschreitung der zulässigen Länge und Höhe des Fahrzeugs - folgt noch kein Abzugsverbot. An seiner abweichenden Auslegung hält der erkennende Senat im Lichte der Rechtsprechung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs im Beschluss vom 27.4.2022 (5 StR 278/21 = NZWiSt 2022, 410) nicht mehr fest (Aufgabe von OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 1.3.2022 - 3 Ss-OWi 1439/21).
Normenkette
OWiG § 17 Abs. 4
Verfahrensgang
AG Idstein (Entscheidung vom 07.11.2022) |
Tenor
1. Der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts Idstein vom 7.11.2022 wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Idstein zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Regierungspräsidium Kassel legte der Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 3.3.2022 eine Geldbuße in Höhe von 2.900,00 Euro wegen zweier tateinheitlicher Handlungen des Anordnens bzw. Zulassens der Inbetriebnahme der Fahrzeugkombination mit dem Kennzeichen … trotz Überschreitung der zulässigen Länge über alles um 2,00 m sowie trotz Überschreitung der zulässigen Höhe über alles um 0,35 m (§§ 24 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 5 StVG i.V.m. §§ 69a Abs. 5, 31 Abs. 2, 32 Abs. 1, 2, 3, 4, 31d Abs. 1 StVZO) auf.
Die Betroffene erhob gegen den Bescheid einen auf die Rechtsfolge beschränkten Einspruch. Auf diesen Einspruch hin hat das Amtsgericht Idstein mit Beschluss vom 07.11.2022 die Geldbuße in Höhe von 2.900,00 Euro bestätigt.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und ebenso begründete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Rechtsbeschwerde der Betroffenen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Der Beschluss des Amtsgerichts hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Das Amtsgericht hat im Rahmen der - nach wirksamer Beschränkung des Rechtsmittels zur Prüfung des Senats stehenden - Rechtsfolgenbestimmung zu Unrecht angenommen, vom Halter gemachte Aufwendungen seien nicht in Abzug zu bringen.
a) Nach § 17 Abs. 4 S. 1 OWiG soll die Geldbuße den aus der Ordnungswidrigkeit gezogenen wirtschaftlichen Vorteil übersteigen. Der Wortlaut gebietet grundsätzlich eine Saldierung. Es gilt das Nettoprinzip. In diesem Rahmen sind von den durch die Tat erlangten wirtschaftlichen Zuwächsen die Kosten und Aufwendungen des Betroffenen abzuziehen (BGH, Beschl. v. 8.12.2016 - 5 StR 424/15, StV 2018, 43 [Ls. 2]). Maßgeblich ist ein Vergleich der wirtschaftlichen Position vor und nach der Tat (KK-OWiG/Mitsch, 5. Aufl. 2018, OWiG § 17 Rn. 118).
aa) Die konkrete Abzugsfähigkeit ist dabei stets anhand des Einzelfalls zu bestimmen (BGH, Beschl. v. 27.4.2022 - 5 StR 278/21, NZWiSt 2022, 410, 414 Tz. 38 a.E.). Abzugsfähig sind unter dem Nettoprinzip diejenigen Aufwendungen, die durch den Erwerbsvorgang veranlasst bzw. im unmittelbaren Zusammenhang mit der zu ahndenden Tat entstanden sind (BayObLG, NStZ-RR 2022, 217, 219; KK-OWiG/Mitsch aaO., § 17 Rn. 120). Hypothetische Gewinne, etwa aus der Fortsetzung legalen Verhaltens, bleiben dabei allerdings außer Betracht, ebenso mögliche Erstattungsansprüche Dritter (BGH, Beschl. v. 8.12.2016 - 5 StR 424/15, wistra 2017, 242, 243 f. Tz. 4; Krenberger/Krumm-OWiG, 7. Aufl. 2022, 30 Rn. 42; KK-OWiG/Rogall aaO., § 30 Rn. 141).
bb) Dies berücksichtigt das angefochtene Urteil nicht in dem rechtlich gebotenen Umfang, indem es die Abzugsfähigkeit der durch die Tat veranlassten Aufwendungen gänzlich versagt.
Insoweit bedarf es weiterer tatrichterlicher Aufklärung. Soweit nur Feststellungen zu dem mit der Fahrt erzielten Umsatz möglich sind, ist eine darauf gestützte Berücksichtigung des mit der Fahrt insgesamt erzielten wirtschaftlichen Vorteils zulässig. Erforderlich sind im Rahmen einer groben Schätzung, an die keine überspannten Anforderungen zu stellen sind, nachprüfbare Angaben in den Urteilsgründen (vgl. zum Vorgehen BGH, Beschl. v. 27.4.2022 - 5 StR 278/21, NZWiSt 2022, 410, 413 ff. Tz. 27, 36 u. 44).
b) aa) Dem steht es grundsätzlich nicht entgegen, dass die Aufwendungen zu einem rechtlich missbilligten Zweck erfolgten.
Allein aus der Unzuläs...