Entscheidungsstichwort (Thema)
Auswirkung der Kostenübernahme im Vergleich auf die Verpflichtung zur Tragung von Gerichtskosten nach Gewährung von Prozesskostenhilfe
Leitsatz (amtlich)
1. Die Partei, der Prozesskostenhilfe gewährt wurde, kann vom Gericht auf die Zahlung von Gerichtskosten auch dann nicht in Anspruch genommen werden, wenn sie die Kosten in einem Vergleich ganz oder teilweise übernommen hat. § 122 Abs. 1 Nr. 1a) ZPO schließt eine Inanspruchnahme nicht nur als Veranlassungsschuldner (§ 22 GKG), sondern auch als Entscheidungs- und Übernahmeschuldner (§ 29 GKG) ausdrücklich aus. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 31 Abs. 3 GKG, der den Entscheidungsschuldner nach § 29 Nr. 1 GKG, nicht aber den Übernahmeschuldner nach § 29 Nr. 2 GKG vor einem Kostenausgleich des auf die Gerichtskosten in Anspruch genommenen Gegners schützt. Da der Gesetzgeber die Problemlage kannte und er in mehreren Änderungen des GKG von der Anordnung einer Inanspruchnahme ausdrücklich abgesehen hat, fehlt es an einer Regelungslücke, die im Wege der Analogie geschlossen werden könnte. BVerfG (BVerfGE 51, 295; NJW 2000, 3271) und BGH (BGH MDR 2004, 295) haben deswegen bislang aus § 31 Abs. 3 GKG (bzw. seinen Vorläufernormen) auch nur den Kostenausgleich zwischen den Parteien, nicht aber die unmittelbare Inanspruchnahme der Prozesskostenhilfepartei durch die Gerichtskasse zugelassen.
2. Im Übrigen verletzt die nicht vorhersehbare Inanspruchnahme der Partei, der Prozesskostenhilfe gewährt wurde, auf Gerichtskosten deren Anspruch auf ein faires Verfahren, wenn die Partei aufgrund einer langjährigen früheren Praxis mit einer solchen Inanspruchnahme zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses nicht rechnen musste.
Normenkette
GKG §§ 22, 29 Nrn. 1-2, § 31 Abs. 3; ZPO § 122 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 2-12 O 333/09) |
Tenor
Auf die Erinnerung des Klägers wird die Kostenrechnung des OLG Frankfurt vom 29.7.2011 - Kassenzeichen 009617700102 - aufgehoben.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Der Kläger verlangt als Insolvenzverwalter einer GmbH von deren ehemaligem Gesellschafter Schadensersatz i.H.v. rund 68.000 EUR. Gegen die Stattgabe der Klage hat der Beklagte Berufung eingelegt. Mit Beschluss vom 13.4.2011 wurde dem Kläger uneingeschränkt Prozesskostenhilfe für die zweite Instanz bewilligt. Nach einem Termin zur mündlichen Verhandlung am 7.6.2011 schlossen die Parteien einen Vergleich, in dem der Beklagte sich zur Zahlung von 15.000 verpflichtete und in dem die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufgehoben wurden. Das Zustandekommen des Vergleichs wurde gem. § 278 Abs. 6 ZPO mit Beschluss vom 29.7.2011 festgestellt.
Mit Kostenrechnung vom 29.7.2011 wurden dem Kläger die hälftigen Gerichtskosten des Berufungsverfahrens mit 656 EUR in Rechnung gestellt. Hiergegen richtet sich die mit Schreiben vom 8.8.2011 und 13.9.2011 eingelegte Erinnerung des Klägers, der die Kostenbeamtin nicht abgeholfen und die die Bezirksrevisorin nicht beanstandet hat.
Mit Beschluss vom 7.10.2011 hat der Einzelrichter die Sache dem Senat übertragen.
II.1. Die Erinnerung ist zulässig. Sie ist nach § 66 Abs. 1 GKG statthaft. Die Zuständigkeit des Senats folgt aus der Übertragung durch den Einzelrichter gem. § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG.
2. Der Erinnerung hat auch in der Sache Erfolg. Einer Auferlegung anteiliger Kosten auf den Kläger stehen gleich mehrere Gesichtspunkte entgegen.
a) Die Kostenrechnung an den Kläger verletzt dessen Anspruch auf ein faires Verfahren. Aus Art. 2 Abs. 1, 20, 28 GG, Art. 47 Abs. 2 EU-Grundrechtscharta und Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK folgt nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG wie auch des BGH als "allgemeines Prozessgrundrecht" die Verpflichtung des Gerichts, das Verfahren so zu gestalten, wie die Parteien es von ihm erwarten dürfen (BVerfGE 78, 123; BVerfGE 75, 183; BVerfGE 69, 126; zuletzt ArbuR 2011, 460; BGH zuletzt NJW 2011, 3240; MünchKomm/Rauscher, Einl. Rz. 140). Verboten sind danach nicht nur willkürliche und unverhältnismäßige Verhaltensweisen, sondern insbesondere auch plötzliche, überraschende und nicht vorhersehbare Abweichungen von bislang kritiklos praktiziertem Vorgehen. Der Kläger durfte nach der uneingeschränkten Gewährung von Prozesskostenhilfe davon ausgehen, dass Gerichtskosten gegen ihn auch dann nicht geltend gemacht werden, wenn er in einem Vergleich die Kosten des Rechtsstreits ganz oder teilweise übernimmt. Dies entsprach nicht nur dem Wortlaut des § 122 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, sondern auch der über Jahrzehnte praktizierten Handhabung der hessischen Kostenbeamten.
Damit, dass von dieser langjährigen Praxis abgewichen werden würde, brauchte er nicht zu rechnen. Die Kostenbeamtin stützt ihre Rechtsansicht auf eine Entscheidung des 18. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 1.7.2011. Diese war bei Einigung der Parteien (die zwischen dem 7.6.2011 und dem 21.7.2011 erzielt worden ist) entweder noch gar nicht ergangen oder jedenfalls nicht bek...