Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungsverwerfung. Rechtsmittelverzicht. Teileinstellung. Unwirksamkeit. Verständigung. Zuständigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Ist die Berufung aus einem anderen Grund als die verspätete Einlegung - etwa wegen eines wirksam erklärten Rechtsmittelverzichts - unzulässig, ist für die Entscheidung des Amtsgerichts kein Raum. Dies gilt wegen der vorrangig zu prüfenden Frage, ob der Rechtsmittelverzicht wirksam ist, auch dann, wenn der Verzicht mit dem Mangel der Fristeinhaltung zusammenfällt.
2. Gegenstand einer Verständigung im Sinne des § 257 c StPO kann auch die (Teil-)Einstellung des Verfahrens (hier nach § 154 II StPO sein.
3. Ist der Rechtsmittelverzicht wegen einer Verständigung unwirksam, hat das lediglich die Wirkung, dass dem Angeklagten die Frist zur Einlegung der Berufung oder Revision zur Verfügung steht.
Normenkette
StPO § 154 Abs. 2, §§ 257c, 273 Abs. 1a S. 3 Nr. 3, §§ 302, 314, 319, 322
Verfahrensgang
LG Hanau (Entscheidung vom 31.05.2010; Aktenzeichen 6 Ns - 1302 Js 14554/07) |
Tenor
Die sofortigen Beschwerden des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Hanau - 6. kleine Strafkammer - vom 31. Mai 2010 werden auf Kosten des Angeklagten (§ 473 Abs. 1 StPO) verworfen.
Gründe
I. Der Angeklagte wurde mit Urteil des Amtsgerichts Hanau vom 27. November 2009 wegen Unterschlagung zu einer - nicht zur Bewährung ausgesetzten - Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls verzichtete der damals von Rechtsanwalt A verteidigte Angeklagte nach Verkündung auf Rechtsmittel gegen dieses Urteil. Mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2009 meldete sich Rechtsanwalt 2 als neuer Verteidiger und legte gegen das Urteil vom 27. November 2009 "Rechtsmittel" ein. Am 9. Dezember 2009 übersandte das Amtsgericht Rechtsanwalt B eine Kopie des Sitzungsprotokolls und fragte an, ob das Rechtsmittel mit Blick auf den Rechtmittelverzicht aufrechterhalten werde. Hierauf machte der Verteidiger geltend, dass dem Urteil eine Verständigung gemäß § 257c StPO vorausgegangen und der Rechtsmittelverzicht unwirksam sei.
Mit Beschluss vom 18. März 2010 hat das Amtsgericht die Berufung des Angeklagten gemäß § 319 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen, da das Rechtsmittel nicht rechtzeitig eingelegt worden sei. Die Frage der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts hat es dabei offengelassen. Gegen die Verwerfung hat der Angeklagte auf Entscheidung des Berufungsgerichts angetragen und mit weiterem, am 6. Mai 2010 eingegangenem Schreiben, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungseinlegungsfrist beantragt.
Mit Beschluss vom 31. Mai 2010 hat das Landgericht den Antrag nach § 319 Abs. 2 Satz 1 StPO verworfen und das Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der sofortigen Beschwerde.
II. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Soweit es sich gegen die die Entscheidung nach § 319 Abs. 2 Satz 1 StPO richtet, ist es gemäß § 322 Abs. 2 StPO ausnahmsweise statthaft, weil das Amtsgericht hier zur Verwerfung der Berufung als unzulässig nicht befugt war und das Landgericht der Sache nach gemäß § 322 Abs. 1 StPO entschieden hat (OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 47, 48 m.N.; Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 319 Rn. 5). Das Amtsgericht darf die Berufung nur verwerfen, wenn diese verspätet eingelegt ist (§ 319 Abs. 1 StPO). Ist die Berufung aus einem anderen Grund - etwa wegen eines wirksam erklärten Rechtsmittelverzichts - unzulässig, steht die Verwerfung allein dem Berufungsgericht zu. Für eine Entscheidung des Tatrichters ist dann kein Raum. Dies gilt wegen der vorrangig zu prüfenden Frage, ob der Rechtsmittelverzicht wirksam ist, auch dann, wenn der Verzicht - wie hier - mit einem Mangel der Fristeinhaltung zusammentrifft (BGH NStZ-RR 2010, 213; vgl. auch BGH, Beschluss vom 13. Februar 2007 - 1 StR 18/07 bei BGH-Nack; jeweils für den Fall der Revision). Denn hiervon hängt der mit weiteren Folgen verbundene Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft ab, die durch den wirksam erklären Rechtsmittelverzicht unmittelbar herbeigeführt wird (vgl. BGHSt [GS] 50, 40, 58). Durch Einfügung von § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO aufgrund des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2353) hat sich daran nichts geändert (BGHSt 54, 167).
Zudem ist die Frage der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung vorgreiflich, da ein wirksam erklärter Rechtsmittelverzichtverzicht die Unzulässigkeit des Rechtsmittels zur Folge hat und die Gewährung von Wiedereinsetzung ausschließt (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 213; BGH NStZ 2005, 582; Meyer-Goßner aaO. § 302 Rn. 26 m.N.).
Der Rechtmittelverzicht war hier unwirksam. Das Hauptverhandlungsprotokoll vom 27. November 2009 enthält nicht den gemäß § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO vorgeschriebenen und zu den wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne des § 274 Satz 1 StPO gehörenden Vermerk, dass keine Verständigung stattgefunden hat (vgl. B...