Entscheidungsstichwort (Thema)
Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft bei krasser finanzieller Überforderung
Normenkette
BGB § 138 Abs. 1, § 765
Verfahrensgang
LG Hanau (Aktenzeichen 7 O 628/00) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Hanau – 7 O 628/00 – vom 6.2.2001 abgeändert.
Der Beklagten wird für ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt P. beigeordnet.
Gründe
Die Beschwerde der Beklagten hat Erfolg. Sie erhält Prozesskostenhilfe, weil sie die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann und ihre Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 114 ZPO).
Die Beklagte verteidigt sich gegen ihre Inanspruchnahme als Bürgin für Verbindlichkeiten ihres geschiedenen Ehemannes gegenüber der Klägerin mit dem Einwand der Sittenwidrigkeit der Bürgschaft. Nach dem derzeitigen Sachstand liegt nahe, die Sittenwidrigkeit und damit die Nichtigkeit der Bürgschaft zu bejahen.
Gemäß § 138 Abs. 1 BGB ist eine Bürgschaft insbesondere dann nichtig, wenn der aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner haftende Bürge finanziell krass überfordert wird und die Bürgschaft sich aus Sicht eines vernünftig denkenden Gläubigers als wirtschaftlich sinnlos erweist (BGH v. 14.11.2000 – XI ZR 248/99, MDR 2001, 403 = NJW 2001, 815; v. 27.1.2000 – IX ZR 198/98, MDR 2000, 467 = NJW 2000, 1182 [1183]).
Die Beklagte ist durch die Bürgschaft krass überfordert. Eine krasse Überforderung liegt dann vor, wenn die Verbindlichkeit, für die der Bürge einstehen soll, so hoch ist, dass bereits bei Vertragsschluss nicht zu erwarten ist, der Bürge werde – wenn sich das Risiko verwirklicht – die Forderung des Gläubigers wenigstens zu wesentlichen Teilen tilgen können. Davon ist bei nicht ganz geringfügigen Hauptschulden – wie hier – jedenfalls dann auszugehen, wenn der Bürge voraussichtlich nicht einmal die laufenden Zinsen der Hauptschuld aufzubringen vermag (BGH v. 14.11.2000 – XI ZR 248/99, MDR 2001, 403 = NJW 2001, 815 m.w.N.). So liegt es hier. Die Beklagte erzielte bis Juni 1995 ein monatliches Nettoeinkommen von 1.239,34 DM. Sie war bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages ihrem seinerzeit 7 Jahre alten nicht ehelichen Sohn unterhaltspflichtig. Demgemäß war ihr Arbeitseinkommen nach § 850c Abs. 1 ZPO bis 1.677 DM monatlich pfändungsfrei. Weitere Einkünfte oder Vermögen der Beklagten waren und sind nicht vorhanden. Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Beklagten ist nur ihr eigenes pfändbares Einkommen und Vermögen zu berücksichtigen, nicht aber das Leistungsvermögen des Ehemannes. Das folgt daraus, dass die Bürgschaft in aller Regel gerade für den Fall der Insolvenz des Hauptschuldners oder anderer Leistungshindernisse vereinbart wird. Eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung scheidet somit aus (BGH v. 14.11.2000 – XI ZR 248/99, MDR 2001, 403 = NJW 2001, 815 [816] m.w.N.). Danach war das von der Beklagten bis kurz vor dem Vertragsschluss erzielte Arbeitseinkommen so niedrig, dass daraus noch nicht einmal die Zinsen des Darlehens aufgebracht werden konnten. Nichts anderes gilt für das Arbeitseinkommen, das die Beklagte aus dem nach Abschluss des Bürgschaftsvertrages begründeten Arbeitsverhältnis im August 1995 erzielte. Aus diesem Arbeitsverhältnis bezog die Beklagte ein monatliches Bruttoeinkommen von 2.102 DM. Ein auch nur teilweise pfändbares Nettoeinkommen ergab sich daraus nicht. Danach wird die Beklagte durch die Bürgschaft krass überfordert.
Es ist nicht ersichtlich, dass das von der Beklagten verbürgte Risiko durch sonstige Umstände voll ausgeglichen oder entscheidend herabgemindert würde. Als zusätzliche Sicherheiten der Klägerin nennt der Darlehensvertrag lediglich die Gehaltsabtretung der Beklagten und ihres Ehemannes. Eine Minderung des Bürgenrisikos ergibt sich aus diesen Sicherheiten nicht, da der Bürgschaftsfall regelmäßig erst dann eintritt, wenn der Hauptschuldner selbst nicht mehr leistungsfähig ist.
Die Klägerin muss die sich danach ergebende finanzielle Leistungsunfähigkeit der Beklagten als bekannt gegen sich gelten lassen. Nach banküblichen Gepflogenheiten überprüfen Kreditinstitute die geforderten Sicherheiten vor der Hereinnahme mit kaufmännischer Sorgfalt auf ihre Werthaltigkeit. Davon ist auch hier auszugehen. Anderes bringt die Klägerin nicht vor. Mit Rücksicht auf die krasse finanzielle Überforderung der Beklagten besteht die tatsächliche Vermutung, dass diese sich bei der Übernahme der Bürgschaft nicht von einer realistischen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos, sondern von ihrer emotionalen Bindung an ihren damaligen Ehemann hat leiten lassen und die Klägerin dies in anstößiger Weise ausgenutzt hat (BGH v. 14.11.2000 – XI ZR 248/99, MDR 2001, 403 = NJW 2001, 815 [817] m.w.N.). Diese Vermutung hat die darlegungs- und beweispflichtige Klägerin (BGH v. 14.11.2000 – XI ZR 248/99, MDR 2001, 403 = NJW 2001, 815 [817]) nicht ausgeräumt.
Allerdings kommt in Betracht, dass die Beklagte zusammen mit ihrem damaligen Ehemann ein...