Leitsatz (amtlich)
Ist der Verurteilte wegen mehrerer Taten, die er vor der - für erledigt erklärten - Unterbringung nach § 63 StGB begangen hat, die aber nur teilweise Katalogstaten i. S. des § 66 III StGB darstellen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe, nicht aber zu einer Unterbringung nach § 63 StGB verurteilt worden, so sind die formellen Voraussetzungen des § 66 III 1 2. Alt StGB nur erfüllt, wenn die fiktiv allein unter Zugrundelegung der Strafen für die Katalogstaten zu bildende Gesamtstrafe mindestens drei Jahre beträgt.
Verfahrensgang
LG Gießen (Entscheidung vom 13.08.2004; Aktenzeichen 1 StVK 643/04) |
Tenor
1.
Der Beschluss des Landgerichts Gießen vom 13.8.2004 wird aufgehoben.
Die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus ist erledigt. Der Verurteilte ist in dieser Sache sofort aus der Unterbringung zu entlassen.
2.
Es tritt Führungsaufsicht ein.
a.
Die Dauer der Führungsaufsicht beträgt fünf Jahre.
b.
Der Verurteilte untersteht für die Dauer der Führungsaufsicht der Leitung und Aufsicht des für seinen Wohnsitz zuständigen Bewährungshelfers.
c.
Der Verurteilte wird angewiesen,
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Wohnung in der Einrichtung "X", ...weg ... in O 1 zu nehmen und den Wohnsitz nicht ohne vorherige Absprache mit dem Bewährungshelfer zu wechseln,
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sich nicht an Kinderspielplätzen und Schulhöfen aufzuhalten,
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sich zu Beginn eines jeden Monats bei dem Bewährungshelfer zu melden, wobei weitere Einzelheiten der Terminsbestimmung der Aufsichtsstelle überlassen bleiben, und
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jeden Wechsel des Wohnortes unverzüglich der Aufsichtsstelle mitzuteilen.
3.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich des Beschwerdeverfahrens, sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten hat die Staatskasse zu tragen.
4.
Die Belehrung über die Führungsaufsicht, auch über die Folgen eines Weisungsverstoßes, gem. § 268 a StPO wird der Klinik für forensische Psychiatrie in O 2 übertragen.
Gründe
Der Verurteilte befindet sich derzeit im Vollzug der Unterbringung nach § 63 StGB in der Klinik für forensische Psychiatrie in O 2.
Durch den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht Gießen die mit Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 18.7.1997 angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zur Bewährung ausgesetzt.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten ist zulässig und begründet.
Die Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus war nicht auszusetzen. Vielmehr war sie sogar für erledigt zu erklären, da die Voraussetzungen nicht (mehr) vorliegen (§ 67 d VI 1 StGB) ≪ nachfolgend I≫.
Für die Anordnung der nachträglicher Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b III StGB sprechen keine dringenden Gründe, so dass ein Erlass eines Unterbringungsbefehls ausschied ≪ nachfolgend II ≫.
Die mit der Erledigungsentscheidung eintretende Führungsaufsicht (§ 67 d VI 2 StGB) war vom Senat auszugestalten ≪ nachfolgend III ≫.
I.
Der mittlerweile einundsechzig Jahre alte Beschwerdeführer ist seit 1959 wegen zahlreicher Straftaten - überwiegend wegen Diebstahlsdelikten, aber auch verschiedener Verkehrsdelikte und insgesamt sechs Mal auch wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er hat die meiste Zeit seines Lebens in Gefängnissen zugebracht.
Insgesamt hat er seit 1960 lediglich ca. sechseinhalb Jahre in Freiheit verbracht, wobei er nach eigenen Schätzungen - eindeutige Feststellungen lassen sich hierzu auch anhand des Akteninhaltes nicht treffen - nie länger als ein halbes Jahr in Freiheit gewesen ist und er in diesen Zeiten häufig auf der Flucht war.
Im Zusammenhang mit Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist der Verurteilte im einzelnen wie folgt verurteilt worden:
1.
(Nr. 9 im BZR) Durch Urteil des AG Lindau vom 30.5.1967 -D2305-LS 81/67 wurde er wegen Unzucht mit einem Kinde, begangen am 14.10.1966 zu neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Er hatte einem sechsjährigen Mädchen den Schlüpfer heruntergezogen und es an der Scheide geleckt.
2.
(Nr. 13 im BZR): Wegen Diebstahls in zwei Fällen, davon einmal in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis, sowie wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes verhängte das Amtsgericht Freiburg im Breisgau am 10.12.1973 -B1204-35 Ls 126/73 - eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren acht Monaten.
Er hatte am 12.10.1973 ein sechsjähriges Mädchen in den Wald gelockt, ihm mit der Hand unter die Hose gefasst und mit dem Mund dessen bloßes Geschlechtsteil berührt.
3.
(Nr. 15 im BZR): Am 21.12.1977 verurteilte ihn das Landgericht Frankfurt in dem Verfahren M1200-41 Js 1336/76 wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes, begangen am 28.9.1976 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren.
Einbezogen wurden die Strafen aus einer vorausgegangenen Verurteilung durch das Amtsgericht Frankfurt vom 7.2.1977, in welcher er wegen schweren Diebstahls in zwei Fällen, sowie Betruges zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden war.