Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der Aufhebung bewillligter Verfahrenskostenhilfe für taubstumme Antragstellerin
Normenkette
FamFG § 113; ZPO § 124
Verfahrensgang
AG Groß-Gerau (Beschluss vom 21.06.2022; Aktenzeichen 73 F 686/18) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
I. Die taubstumme Antragstellerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Aufhebung der ihr mit Beschluss vom 13.01.2018 für die Rechtsverfolgung in einem Scheidungsverfahren bewilligten Verfahrenskostenhilfe.
Nachdem die zuletzt in Land1 lebende Beschwerdeführerin mit der Zahlung der mit Abänderungsbeschluss des Amtsgerichts vom 12.08.2020 angeordneten Raten auf die Verfahrenskosten in Rückstand geraten war, bemühte sich eine Mitarbeiterin der Geschäftsstelle des Familiengerichts im Juli 2021 vergeblich, sie brieflich über den aufgelaufenen Rückstand in Kenntnis zu setzen und an den Ausgleich zu erinnern. Das erste Erinnerungsschreiben wurde mit dem Vermerk "verzogen" retourniert. Daraufhin bat die Geschäftsstellenmitarbeiterin die erstinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin mehrfach vergeblich um Mitteilung einer aktuellen Anschrift der Mandantin. Erst im Februar 2022 konnte diese über die Einwohnermeldeamtsauskunft einer ... Kommune ermittelt werden. Unter dem 06.05.2022 forderte nunmehr die eigentlich zuständige Rechtspflegerin die Antragstellerin zum Ausgleich der Rückstände auf, die (unter Einbeziehung der bis zum 13.05.2024 fällig werdenden Raten) mit 2.218,92 EUR beziffert wurden und wies darauf hin, dass das Gericht bei einem Zahlungsrückstand von mehr als drei Monatsraten die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe aufheben werde. Die von der Geschäftsstelle am 12.05.2022 ausgeführte Verfügung der Rechtspflegerin lautet wie folgt:
1. Anliegendes Schreiben absenden
2. Wvl. 1 Monat
Ein Nachweis über den Zugang dieses Schreibens bei der Antragstellerin findet sich nicht in der Akte. Da die Rückstände auch in der Folge nicht ausgeglichen wurden, hob die Rechtspflegerin mit Beschluss vom 21.06.2022 die mit Beschluss vom 13.09.2018 bewilligte Verfahrenskostenhilfe auf und führte zur Begründung aus, die mit Abänderungsbeschluss vom 12.08.2020 festgesetzte Ratenzahlungsanordnung sei länger als drei Monate nicht eingehalten worden und trotz Androhung der Aufhebung mit Schreiben vom 06.05.2022 auch nicht aufgenommen worden (Bl. 80 f. d. A.). Die Entscheidung wurde der Antragstellerin persönlich mit internationalem Einschreiben zugestellt, ferner ihrem erstinstanzlichen Bevollmächtigten per EB. Das Einschreiben wurde nicht von der Antragstellerin abgeholt; unklar ist, ob sie zum Zeitpunkt der Zustellung noch in Land1 lebte. Zudem befindet sich in der Akte auch - mit dem Vermerk "verzogen" - die unzustellbare Retoure eines an die Antragstellerin gerichteten unzustellbaren Schreibens mit Datum 27.06.2022, mit dem sie erneut zur Zahlung des offenstehenden Restbetrags unter Androhung der Aufhebung des Bewilligungsbeschlusses aufgefordert wurde (Bl. 89 d. A.).
Gegen den ihrem Bevollmächtigten am 29.06.2022 im elektronischen Wege zugestellten Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit der am 22.07.2022 per beA beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde. Zur Begründung lässt sie vortragen, sie habe sich im Herbst 2021 von ihrem Lebensgefährten getrennt, im Januar 2022 ihre Arbeitsstelle verloren und zunächst 800 EUR an Arbeitslosengeld bezogen, von denen sie neben der Miete auch noch ein von dem früheren Lebensgefährten aufgenommenes Darlehen habe abzahlen müssen. Ihre Bank habe daher die Ratenzahlungen an die Gerichtskasse eingestellt. Belegen könne sie dies zunächst nicht, da die für sie zuständige Beratungsstelle für Hörgeschädigte ihr derzeit wegen urlaubsbedingter Abwesenheit der dortigen Mitarbeiter nicht helfen könne und ihr früherer Lebensgefährte die in seinem Besitz befindlichen Unterlagen nicht herausgebe. Nachdem die angeforderten Unterlagen dem Gericht auch nicht innerhalb der von der Rechtspflegerin bis zum 11.11.2022 verlängerten Frist vorgelegt wurden, half diese der sofortigen Beschwerde unter Bezugnahme auf die nach wie vor fehlenden Belege nicht ab und legte die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor.
II. Die gem. §§ 113 Abs. 1 S. 1 FamFG, 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist in der Sache begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht zur Neubescheidung.
Die Voraussetzungen für die Aufhebung der bewilligten Verfahrenskostenhilfe gem. §§ 113 Abs. 1 S. 1 FamFG, 124 Abs. 1 Nr. 5 ZPO liegen nicht vor. Nach §§ 113 Abs. 1 S. 1 FamFG, 124 Abs. 1 Nr. 5 ZPO soll das Gericht zwar die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe aufheben, wenn der betroffene Beteiligte länger als drei Monate mit der Zahlung einer Monatsrate oder mit der Zahlung eines sonstigen Be...