Leitsatz (amtlich)

1. Die fristgebundene gerichtliche Aufforderung zur Mitwirkung im Nachprüfungsverfahren nach § 120a Abs. 1 S. 3 ZPO ist dem Beteiligten gemäß §§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 329 Abs. 2 S. 2 ZPO bzw. § 15 Abs. 2 FamFG förmlich zuzustellen bzw. bekanntzugeben.

2. Eine Heilung des Zustellungsmangels nach §§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 189 ZPO scheidet aus, wenn das Gericht bewusst von einer förmlichen Zustellung der Entscheidung absieht und eine formlose Versendung anordnet.

 

Normenkette

FamFG § 113 Abs. 1 S. 2; ZPO §§ 120a, 124, 172, 329 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Recklinghausen (Aktenzeichen 72 F 212/21)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Recklinghausen vom 05.09.2022 aufgehoben.

 

Gründe

I. In dem Verfahren AG Recklinghausen, 72 F 212/21 haben der Antragsteller und die Antragsgegnerin im mündlichen Verhandlungstermin vor dem Amtsgericht Recklinghausen am 24.02.2022 eine Vereinbarung geschlossen. Für diesen abgeschlossenen Vergleich ist dem Antragsteller mit Beschluss vom 24.02.2022 ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt T. bewilligt worden. Mit Schreiben vom 20.06.2022 forderte die Rechtspflegerin des Amtsgerichts den Antragsteller im Rahmen der Überprüfung der Verfahrenskostenhilfe in dem Verfahren 72 F 172/21 AG Recklinghausen auf, sich binnen einer Frist von zwei Wochen unter Verwendung des beigefügten Vordrucks über seine aktuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erklären und mitzuteilen, ob und falls ja wann er seinen Miteigentumsanteil am Grundstück W.-straße ## veräußern werde. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass diese Aufforderung auch für das Verfahren 72 F 212/21 - das vorliegende Verfahren - gelte. Das Schreiben wurde sowohl an den Antragsteller als auch dessen Verfahrensbevollmächtigten formlos übersandt.

Mit am 05.09.2022 erlassenem Beschluss hat das Amtsgericht sodann den Verfahrenskostenhilfebeschluss vom 24.02.2022 gemäß § 120a Abs. 1 und 3 ZPO, 76 ff. FamFG dahingehend abgeändert, dass die von dem Antragsteller zu zahlenden Verfahrenskosten in einer einmaligen Zahlung zu erbringen sind. Die genaue Höhe werde mit gesonderter Kostenrechnung mitgeteilt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers hätten sich wesentlich verbessert. Er verfüge nun über einzusetzendes Vermögen über 5.000,00 EUR (nämlich das nicht selbst genutzte Grundeigentum). Weitere Nachfragen vom 15.07.2022 und 09.08.2022 in 72 F 172/21 seien nicht mehr beantwortet worden, insbesondere keine Hinderungsgründe mitgeteilt worden.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit der sofortigen Beschwerde vom 23.09.2022. Zur Begründung trägt er vor, er habe auf die Anfragen des Gerichts sofort reagiert. Im Hinblick auf den Grundbesitz hätten die Ehegatten nach wie vor keine Einigung erzielen können, er selbst wolle gerne in die gemeinsame Immobilie einziehen. Der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren weiter im Einzelnen vorgetragen, dass und warum das Grundstück derzeit zur Finanzierung des Prozesses nicht einsetzbar sei.

Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II. Die gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG, 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für die Abänderung der bewilligten Verfahrenskostenhilfe nach §§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 120a Abs. 1, 3 ZPO liegen nicht vor.

1. Das Verfahren leidet bereits an einem Verfahrensmangel, der zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung führt.

a. Für die Aufhebung oder Abänderung der Verfahrenskostenhilfeentscheidung nach §§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, §§ 120a, 124 ZPO ist erforderlich, dass der entsprechenden Entscheidung des Gerichts ein von ihm formal ordnungsgemäß durchgeführtes Verfahren vorausgeht; andernfalls ist die Entscheidung des Familiengerichts aufzuheben. Zu den zwingenden formalen Anforderungen an das Überprüfungsverfahren gehört u.a. eine ordnungsgemäße Beteiligung desjenigen, dem die Verfahrenskostenhilfe bewilligt wurde (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.11.2021 - 4 WF 149/21 -, juris Rn. 9). Dies erfordert, dass die nach § 120a Abs. 1 S. 3 ZPO vorgesehene fristgebundene gerichtliche Aufforderung zur Mitwirkung im Nachprüfungsverfahren dem Beteiligten gemäß § 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO bzw. § 15 Abs. 2 FamFG förmlich zuzustellen bzw. bekanntzugeben ist (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.11.2021 - 4 WF 149/21, juris Rn. 9; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.06.2021 - 18 WF 14/21, FamRZ 2021, 1722 Rn. 10; OLG Bamberg, Beschluss vom 19.08.2019 - 2 WF 183/19, FamRZ 2019, 1878 Rn. 5; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.04.2019 - 5 WF 176/18, FamRZ 2019, 1444 Rn. 19; Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Auflage 2022, § 120a Rn. 16 m.w.N.; BeckOK ZPO/Reichling, 47. Ed. 1.12.2022, ZPO § 120a Rn. 27; Musielak/Voit/Fischer, 19. Aufl. 2022, Z...

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