Entscheidungsstichwort (Thema)

Einschränkung des elterlichen Umgangsrechts mit Kind in Pflegefamilie

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Einschränkung des elterlichen Umgangsrechts im Falle eines in einer Pflegefamilie untergebrachten Kindes setzt mit Blick auf dessen Grundrechtsposition einerseits voraus, dass der Schutz des Kindes dies nach den konkreten Umständen des Einzelfalls erfordert, um eine konkrete Gefährdung seiner seelischen oder körperlichen Entwicklung abzuwehren, andererseits, dass dem besonderen verfassungs- und menschenrechtlichen Stellenwert des elterlichen Umgangsrechts mit ihrem in Pflege genommenen Kind Rechnung getragen wird (vgl. BVerfG ZKJ 2013, 120).

2. Bei der für die Ausgestaltung des Umgangs von Pflegekindern mit einem Elternteil vorzunehmenden Abwägung ist von entscheidender Bedeutung, ob eine Rückkehroption zur Herkunftsfamilie fortbesteht oder mangels einer realistischen Rückkehrperspektive von einem dauerhaften Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie auszugehen ist. Besteht eine solche Rückkehrperspektive nicht mehr, stehen die Stabilität und Kontinuität der Lebensverhältnisse in der Pflegefamilie und damit die neuen Bindungen des Kindes zu seinen Pflegeeltern viel stärker im Vordergrund (vgl. auch § 1697a Abs. 2 Satz 2 BGB). Der Umgang bezweckt dann weder die Rückkehr zu den Eltern noch die Aufrechterhaltung qualitativ gleichwertiger Bindungen zu ihnen.

 

Normenkette

BGB § 1697a Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

AG Bad Schwalbach (Beschluss vom 04.08.2022)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Mutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts -Familiengericht- Bad Schwalbach vom 04.08.2022 wird dieser hinsichtlich der Gestaltung des Umgangs der Mutter abgeändert und wie folgt neu gefasst:

In Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts -Familiengericht- Bad Schwalbach vom 08.01.2020, Az. ..., ist die Mutter alle drei Monate, am jeweils letzten Freitag des Monats von 14.00 Uhr bis 16.00 Uhr zum begleiteten Umgang mit Vorname1 B, geb. am XX.XX.2018, berechtigt und verpflichtet. Der Umgang findet in den Räumlichkeiten der X e. V., Straße1, Stadt1 in Anwesenheit der für diese Einrichtung tätigen mitwirkungsbereiten Dritten, Frau C, statt.

Ein darüberhinausgehender Umgang findet nicht statt.

Die Pflegeeltern werden verpflichtet, Vorname1 B zu den begleiteten Umgangskontakten zu bringen und sie nach deren Abschluss wieder abzuholen.

II. Der Senat weist darauf hin, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung einer Person gegen die vorbezeichnete Umgangsregelung, gegen diese Ordnungsgeld von bis zu 25.000,00 EUR bzw., sofern dies nicht beigetrieben werden kann oder dessen Anordnung aus sonstigen Gründen keinen Erfolg verspricht, Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten festgesetzt werden kann.

III. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden zwischen den Eltern hälftig geteilt; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

IV. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Aus der nach islamischen Recht geschlossenen Ehe der Eltern ging das Kind Vorname1 B, geb. am XX.XX.2018, hervor.

Die Eltern flüchteten aus dem Iran und lebten zunächst in einer Gemeinschaftsunterkunft in Stadt2. Da es dort zwischen ihnen wiederholt zu erheblichen Konflikten kam, wurden sie in getrennte Einrichtungen verlegt. Die Mutter zog gemeinsam mit Vorname1 Ende Juli 2018 in eine Gemeinschaftsunterkunft nach Stadt1.

Bei gegenseitigen Besuchen der Eltern kam es zwischen ihnen zu erheblichen Auseinandersetzungen, die auch in Anwesenheit des Kindes ausgetragen wurden. Aufgrund der andauernden Konflikte erhielten die Eltern wechselseitige Hausverbote in den Unterkünften.

Das Jugendamt wurde am 22.11.2018 unterrichtet, dass die Verhältnisse in dem Zimmer der Mutter chaotisch seien. Im Zuge eines unangekündigten Hausbesuchs stellte das Jugendamt fest, dass das Zimmer verunreinigt und Inventar beschädigt wurde. Zudem wurde der Vater angetroffen, der aggressiv reagierte.

Im Januar 2019 bezogen die Eltern gegen die Empfehlung des Jugendamts eine gemeinsame Wohnung in Stadt1. Aufgrund von häuslicher Gewalt kam es dort wiederholt zu Polizeieinsätzen. Bei einem Einsatz am XX.XX.2019 berichteten die Beamten von einer verwahrlosten Wohnung. Die damals ein Jahr alte Vorname1 befand sich alleine im Wohnzimmer, sie turnte an einem Glastisch und in ihrem Zugriffsbereich fanden sich verschluckbare Kleinteile.

In der Nacht vom XX.XX.2019 auf den XX.XX.2019 kam es zu einer Auseinandersetzung des Vaters mit einem Dritten, welcher in ein von ihm wahrgenommenen gewalttätigen Konflikt der Eltern eingriff. Im Raum stand der Vorwurf, dass der Vater diesen - in Anwesenheit des Kindes - mit einem metallischen Gegenstand angriff. Aufgrund dieses Vorfalls wurde gegen den Vater von der Staatsanwaltschaft Stadt3 am 28.02.2020 wegen einer das Leben gefährdenden Behandlung Anklage erhoben.

Das Kind wurde wegen der wiederholten Gewalttätigkeit sowie der Wohnverhältnisse der Eltern am 14.08.2019 in Obhut genommen. Vorname1 wechselte nachfolgend drei Mal ...

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