Leitsatz (amtlich)
1. Die Verpflichtung mittels Handschlags bei persönlicher Anwesenheit des zu bestallenden Vormundes gem. § 1789 Satz 2 BGB a.F. ist kein unverzichtbares Element für die wirksame, eine Vergütungspflicht auslösende Bestallung des Vormunds.
2. Die Bestallung ist auch ohne Handschlag wirksam, wenn im Übrigen das Bestallungsverfahren ordnungsgemäß - einschließlich der geeigneten Unterrichtung über die Pflichten eines Vormunds und die Verpflichtung zu treuer und gewissenhafter Führung der Vormundschaft -durchgeführt worden ist, § 1789 Satz 1 BGB.
Tenor
Die Beschwerde der Staatskasse gegen den auf den 15. März 2023 datierten und am 20. März 2023 zur Geschäftsstelle gelangten Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Marburg wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtlichen Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
Das Beschwerdeverfahren betrifft die Vergütung einer Vormundin für ihre Tätigkeit im Zeitraum 12.10.2022 bis 16.12.2022.
Mit Beschluss vom 01.04.2020 (Bl. 8ff. d. A.) entzog das Amtsgericht Stadt1 (Az.: ...) den Kindeseltern die Sorge für die beiden Kinder X, geboren am XX.XX.2011, und Q, geboren am XX.XX.2014, richtete Vormundschaft ein, bestellte die Antragstellerin zur Vormundin und stellte fest, dass die Vormundschaft berufsmäßig geführt wird. Die gemäß § 1789 BGB in der bis zum 31.12.2022 geltenden Fassung (fortan: BGB a.F.) vorgesehene Verpflichtung der Vormundin fand am 20.04.2020 telefonisch statt. Die zuständige Rechtspflegerin des Amtsgerichts Stadt1 telefonierte mit der Antragstellerin, die sich zur Annahme des Amtes bereit erklärte und zu treuer und gewissenhafter Führung des Amtes verpflichtet wurde. Die Rechtspflegerin fertigte über das Telefonat einen Telefonvermerk, der auch den Hinweis enthält, dass aufgrund der Corona-Pandemie von einer Verpflichtung durch persönliche Vorsprache abgesehen werde. Wegen der Einzelheiten wird auf den Telefonvermerk vom 20.04.2020 (Bl. 21 d. A.) Bezug genommen. Die Bestallungsurkunden für X und Q wurden der Antragstellerin am 23.04.2020 zugestellt.
In den folgenden Jahren wurde die Vergütung der Antragstellerin regelmäßig antragsgemäß ausgezahlt. Nach Abgabe des Vormundschaftsverfahrens an das Amtsgericht Marburg mit Beschluss vom 01.12.2020 (Bl. 56f. d. A.) hat die Vormundin beantragt, ihr für ihre Tätigkeit im Zeitraum 12.10.2022 bis 16.12.2022 einen Betrag von 394,65 EUR aus der Staatskasse auszuzahlen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vergütungsantrag vom 31.12.2022 (Bl. 119 d. A.), der am 09.01.2023 bei dem Amtsgericht eingegangen ist, Bezug genommen.
Die Staatskasse ist dem Antrag erstinstanzlich entgegengetreten und hat zur Begründung ausgeführt, dass die Antragstellerin lediglich telefonisch bestellt worden sei. Eine förmliche Bestellung mittels Handschlags habe nicht stattgefunden. Für Tätigkeiten vor der förmlichen Bestellung könne aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 15.01.2020 - XII ZB 627/17 = NZFam 2020, 261) und des OLG Frankfurt a. M. (Beschluss vom 01.07.2021 - 2 WF 84/21, nicht veröffentlicht) keine Vergütung verlangt werden.
Das Amtsgericht hat die Vergütung mit einem auf den 15.03.2023 datierten Beschluss, der am 20.03.2023 zur Geschäftsstelle des Amtsgerichts gelangt ist, antragsgemäß festgesetzt und die Beschwerde zugelassen. Zur Begründung hat die Vorinstanz, unter Verweis auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig (Beschluss vom 01.02.2023 - 3 W 885/22 = ZEV 2023, 813), ausgeführt, dass eine telefonische Verpflichtung jedenfalls in begründeten Ausnahmefällen zulässig sei. Angesichts der am 20.04.2020 bestehenden Pandemielage liege ein entsprechender Ausnahmefall vor. Der Beschluss wurde am 29.03.2023 formlos an die Antragstellerin und an die Staatskasse übermittelt.
Gegen diese Entscheidung hat der Bezirksrevisor für die Staatskasse (im Folgenden: der Beschwerdeführer) mit Schreiben vom 05.04.2023 (Bl. 138 d. A.) Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 13.04.2023 (Bl. 140 d. A.), das an demselben Tag bei dem Amtsgericht eingegangen ist, auf seine bisherige Argumentation verwiesen und ergänzend ausgeführt, dass im hiesigen Bezirk nicht der Rechtsansicht des OLG Braunschweig, sondern derjenigen des OLG Frankfurt gefolgt werden solle. Der Vergütungsantrag vom 31.12.2022 sei deshalb zurückzuweisen.
Mit Beschluss vom 02.05.2023 hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akte dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Mit Berichterstatterschreiben vom 05.07.2023 hat der Senat darauf hingewiesen, dass er beabsichtigt, die Beschwerde zurückzuweisen und die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Der Beschwerdeführer hat mit Schreiben vom 21.07.2023 erklärt, in der Sache keine weitere Stellungnahme mehr abgeben zu wollen.
II. 1. Die gemäß §§ 168d, 292 Abs. 1, 58 Abs. 1 FamFG statthafte Beschwerde ist zulässig. Dass die maßgebliche Beschwer von 600,01 EUR nicht erreicht ...