Leitsatz (amtlich)

Nach § 46 I StPO entscheidet über den Wiedereinsetzungsantrag das Gericht, das bei rechtzeitiger Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst berufen wäre. Ist dies das Amtsgericht, weil es zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der auf den Einspruch gegen den Strafbefehl anberaumten Hauptverhandlung (§§ 412, 329 II, 44 ff. StPO) zuständig war, darf die Kammer als Rechtsmittelgericht den vom Amtsgericht übergangenen Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist nicht selbst erstmals entscheiden.

 

Verfahrensgang

LG Darmstadt (Aktenzeichen 3 Qs 649/05)

 

Gründe

Am 2.12.2003 erging gegen den Angeklagten Strafbefehl wegen Beleidigung und versuchter gefährlicher Körperverletzung. Hiergegen legte er form- und fristgerecht Einspruch ein. In der auf den Einspruch hin anberaumten Hauptverhandlung vom 4.8.2005 wurde sein Einspruch gem. § 412 I StPO durch Urteil des Amtsgerichts O1 verworfen. Das Urteil wurde dem Angeklagten ausweislich der bei den Akten befindlichen Zustellungsurkunde am 10.8.2005 unter seiner Wohnanschrift durch Einwurf in den zu der Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt.

Mit Schreiben vom 4.9.2005, bei Amtsgericht eingegangen am 6.9.2005, suchte der Angeklagte um Wiedereinsetzung nach. Hierzu trug er im Wesentlichen vor: Er habe von dem Verwerfungsurteil erst am 4.9.2005 Kenntnis erlangt. Bereits mit Fax vom 20.7.2005 habe er mitgeteilt, dass er den Hauptverhandlungstermin vom 4.8.2005 nicht wahrnehmen könne. Er sei als Lehrer mit schulpflichtigen Kindern an die Schulferien gebunden und habe den Urlaub schon längerfristig geplant gehabt. Eine kurzfristige Verschiebung des Urlaubs sei nicht möglich gewesen.

Das Amtsgericht O1 verwarf mit Beschluss 25.10.2005 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung des Hauptverhandlungstermins vom 4.8.2005 als unzulässig, weil er entgegen §§ 412, 329 III StPO nicht binnen einer Woche nach Zustellung des Verwerfungsurteils gestellt worden sei. Überdies sei der Wiedereinsetzungsantrag auch unbegründet, zumal die Urlaubsabwesenheit nicht glaubhaft gemacht sei.

Hiergegen legte der Angeklagte form- und fristgerecht sofortige Beschwerde ein. Das Landgericht verwarf mit Beschluss vom 3.2.2006, dem Angeklagten am 7.2.2006 zugestellt, die sofortige Beschwerde. Das Amtsgericht sei zu Recht von der Versäumung der Frist des § 329 III StPO ausgegangen. Ferner verwarf es im selben Beschluss den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags gem. §§ 412, 329 III StPO.

Gegen diesen Beschluss hat der Angeklagte mit am 13.2.2006 eingegangenen Schreiben sofortige Beschwerde eingelegt.

Das form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel richtet sich - wie seine Auslegung ergibt - nur gegen die Verwerfung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags gem. §§ 412, 329 III StPO. Das Vorbringen im Beschwerdeschriftsatz betrifft nämlich nur diesen Verfahrengegenstand. Gegen die Verwerfung der sofortigen Beschwerde durch das Landgericht wäre überdies ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 310 II StPO); der Angeklagte will aber im Zweifel nur zulässige Rechtsmittel - entsprechend der zutreffenden Rechtsmittelbelehrung durch das Landgericht - einlegen.

Im Umfange der Anfechtung hat die sofortige Beschwerde auch in der Sache einen - zumindest vorläufigen - Erfolg.

Die Kammer war zur Entscheidung über den - wie sie zutreffend erkannt hat, bereits im Schreiben vom 4.9.2005 gestellten - Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der einwöchigen Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags gem. §§ 412, 329 III StPO nicht berufen.

Nach § 46 I StPO entscheidet über den Wiedereinsetzungsantrag das Gericht, das bei rechtzeitiger Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst berufen wäre. Das ist hier das Amtsgericht O1, da es zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der auf den Einspruch gegen den Strafbefehl anberaumten Hauptverhandlung (§§ 412, 329II, 44 ff. StPO) zuständig war. Den vom Amtsgericht übergangenen Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist durfte die Kammer als Rechtsmittelgericht nicht selbst erstmals entscheiden (ganz h.M. vgl. BGHSt 22, 52, 55, 57 f, KG [4. Strafsenat], Beschl. v. 3.12.1996 - 4 Ws 190/96 - Juris; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 46 Rn 2; Maul, in: KK-StPO, 5. Aufl., § 46 Rn 1f.; Wendisch, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 46 Rn 5 ff.; Weßlau, in SK-StPO, § 46 Rn 2; Paulus, in: KMR-StPO, § 46 Rn 5). Dies ergibt der eindeutige, einer Auslegung nicht fähige Wortlaut des § 46 I StPO.

Soweit erkennbar wird nur noch vom 3. Strafsenat des Kammergerichts (OLGSt StPO § 46 Nr.7) eine abweichende Auffassung vertreten: Jedenfalls dann, wenn der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist erstmals zusam...

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