Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsverteilung bei Fußgängerunfall; Prozesskostenhilfe auch bei überhöhter Schmerzensgeldforderung.

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Haftungsverteilung bei Fußgängerunfällen

2. Bei der Beurteilung der Erfolgsaussicht im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren ist bei den Angaben zu persönlichen Verhältnissen, insbesondere Erkrankungen und Schmerzen, ein großzügiger Maßstab anzulegen, weil mangels nährerer Aufklärung und summarischer Prüfung noch nicht absehbar ist, wie sich die tatsächliche Beeinträchtigung im Ergebnis darstellen wird. Es ist deshalb angemessen, Prozesskostenhilfe auch für eine überhöht erscheinende bezifferte Schmerzensgeldforderung zu bewilligen, wenn sich diese in einem vertretbaren Rahmen bis hin zum Doppelten des vom Gericht für angemessen erachteten Betrags bewegt.

 

Normenkette

BGB § 253; StVG § 7; StVO § 25; ZPO § 114

 

Verfahrensgang

LG Darmstadt (Beschluss vom 06.05.2020; Aktenzeichen 28 O 254/19)

 

Tenor

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Darmstadt vom 6.5.2020 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Bescheidung an das Landgericht Darmstadt zurückverwiesen, das unter Beachtung der Gründe dieses Beschlusses erneut über den Umfang der Prozesskostenhilfe für den Kläger zu entscheiden hat.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Der Kläger hat aufgrund des Verkehrsunfalls vom XX.XX.2016, bei dem er als Fußgänger schwer verletzt wurde, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld beantragt, dessen Höhe er in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Als Untergrenze hat er einen Betrag von 14.000,- EUR angegeben.

Das Landgericht hat nach Hinweisen Prozesskostenhilfe abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dass eine Haftung der Gegenseite von maximal 50% angenommen werden könne. Ausgehend von einem Rahmen des Schmerzensgelds aufgrund von Vergleichsentscheidungen in Höhe von 8.000,- EUR komme bei einer solchen Mithaftung lediglich ein Schmerzensgeld- und Schadensersatzbetrag in Betracht, der unterhalb der landgerichtlichen Zuständigkeitsgrenze von 5.000,- EUR liege.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.

Mit der sofortigen Beschwerde rügt der Kläger, dass das Landgericht ohne Beweisaufnahme und eigene Sachkunde zu einer überwiegenden Quote zulasten des Klägers gekommen sei. Es sei der Unfallhergang durch ein Sachverständigengutachten aufzuklären.

II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.

Der angefochtene Beschluss hält rechtlicher Überprüfung nicht stand und ist deshalb aufzuheben.

1. Haftungsquote

Das Landgericht hat sich ausführlich mit dem möglichen Unfallgeschehen und dem Vortrag des Klägers auseinandergesetzt und ist auf der Basis der vorhandenen Unterlagen, insbesondere auch dem Vortrag der Parteien zum Hergang, zutreffend davon ausgegangen, dass vorliegend den Kläger ein erheblicher Mitverursachungsanteil an dem Unfallhergang trifft. Ebenso wie das Amtsgericht Lampertheim und auch das Landgericht geht der Senat davon aus, dass bei vorläufiger Betrachtung den Kläger ein überwiegender Verursachungsanteil trifft.

Nach seinem eigenen Vortrag ist der Kläger auf die Straße getreten und sofort vom Fahrzeug der Beklagten erfasst worden. Damit wird schon deutlich, dass sich das Fahrzeug der Beklagten nicht allzu weit weg befunden haben kann. Der Kläger muss das Fahrzeug gesehen haben, andernfalls wären, wie das Landgericht zutreffend ausführt, erheblich umfangreichere Verletzungen zu beklagen, weil dann das Fahrzeug der Beklagten mit erheblich überhöhter Geschwindigkeit hätte ankommen müssen.

Bei den Ausführungen des Landgerichts handelt es sich insoweit um allgemeinkundige Tatsachen und Berechnungen, wofür eine besondere Sachkunde nicht dargelegt werden muss. Auf der anderen Seite ist dem Kläger zuzugeben, dass grundsätzlich die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur abgelehnt werden darf, wenn tatsächlich überhaupt keine Anhaltspunkte für weitergehende Erkenntnisse vorliegen oder das Gericht besondere Sachkunde nachweist. Beides trifft vorliegend nicht zu. Es gibt zwar offenbar nur sehr wenige Anhaltspunkte, so dass es sehr wahrscheinlich ist, dass ein Sachverständigengutachten zu keinem besonderen Ergebnis, insbesondere hinsichtlich der Ausgangs- oder Kollisionsgeschwindigkeit, kommen könnte. Ein Sachverständiger kann aber die Örtlichkeit in Augenschein nehmen und feststellen, inwieweit der Kläger vor dem Unfall von dem Fahrer des Beklagtenfahrzeugs gesehen werden konnte und inwieweit auch eine entsprechende Reaktionssaufforderung bereits bestand.

Ob dies im Ergebnis tatsächlich weiterführende Erkenntnisse bringt, erscheint zwar fraglich, die Voraussetzungen eines Ausforschungsbeweises liegen aber nach der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht vor.

Ein Ausforschungsbeweis kann nur dann angenommen werden, wenn di...

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