Leitsatz (amtlich)
1. Eine Anwendung der ordre public-Klausel des Art. 34 Nr. 1 EuGVVO kommt nur dann in Betracht, wenn die Anerkennung der in einem anderen Mitgliedsstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Anerkennungsstaates stünde. Damit das Verbot der Nachprüfung der ausländischen Entscheidung auf ihre Gesetzmäßigkeit (vgl. Art. 45 Abs. 2 EuGVVO) gewahrt bleibt, muss es sich bei diesem Verstoß um eine "offensichtliche" Verletzung einer in der Rechtsordnung des Anerkennungsstaates als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln.
2. Eine Aussetzung des Verfahrens auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schuldtitels nach Art. 46 EuGVVO kommt grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die Entscheidung des Urteilsstaats erkennbar fehlerhaft ist und mit ihrer Aufhebung im erststaatlichen Rechtsmittelverfahren zu rechnen ist.
Normenkette
EuGVVO § 34 Nr. 1, § 46
Verfahrensgang
LG Limburg a.d. Lahn (Beschluss vom 02.11.2004; Aktenzeichen 1 O 457/04) |
Tenor
Die Beschwerde wird auf Kosten der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 15.141,38 EUR.
Gründe
Durch den angefochtenen Beschluss, auf den Bezug genommen wird, hat der Vorsitzende der 1. Zivilkammer des LG Limburg a.d. Lahn angeordnet, dass die Entscheidung des LG Verona/Italien vom 18.3.2003 (R.G.I.; N. 858/03; CRON: 1306/03; ING 889/03), durch die die Antragsgegnerin verurteilt worden ist, an die Antragstellerin 15.141,38 EUR nebst Zinsen i.H.v. jeweils 3 % aus 735,51 EUR seit dem 4.6.2002, aus 3.500 EUR seit dem 2.8.2002, aus 4.849,60 EUR seit dem 18.9.2002, aus 485,76 EUR seit dem 18.9.2002, aus 4.373,01 EUR seit dem 19.9.2002, aus 1.085,74 EUR seit dem 11.10.2002, aus 336,76 EUR seit dem 29.10.2002, zu zahlen, mit der Vollstreckungsklausel zu versehen ist.
Gegen diesen Beschluss hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 26.11.2004 Beschwerde eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, dass das vorliegende Verfahren, die italienische Entscheidung ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären, wesentlichen Rechtsgedanken der deutschen öffentlichen Rechtsordnung widerspreche, mithin ein Verstoß gegen Art. 34 EuGVVO vorliegt. Im Übrigen stützt sie die Beschwerde auf Art. 46 Abs. 1 und 3 EuGVVO. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Schriftsätze vom 26.11.2004 (Bl. 35 ff. d.A.), 9.3.2005 (Bl. 85 ff. d.A.) und 10.6.2005 (Bl. 104 ff. d.A.) Bezug genommen.
Sie beantragt,
1. das Verfahren über die Entscheidung der Vollsteckungsklausel hinsichtlich der Entscheidung des LG Verona/Italien vom 18.3.2003 (R.G.I.; N 883/03; CRON: 1306/03; ING 889/03) gem. Art. 46 Abs. 1 EuGVVO auszusetzen,
hilfsweise
2. der Beschwerdeführerin die Möglichkeit einzuräumen, bis zum Abschluss des streitigen Verfahrens vor dem LG Verona Sicherheit durch Abwendung der Zwangsvollstreckung leisten zu dürfen, wobei der Beschwerdeführerin nachgelassen wird, die Sicherheitsleistung auch durch eine schriftliche, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank zu erbringen.
Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Hinsichtlich der Einzelheiten ihres Vorbringens im Beschwerdeverfahren wird auf den Inhalt der Schriftsätze vom 11.2.2005 (Bl. 65 ff. d.A.) und vom 15.4.2005 (Bl. 95 ff. d.A.) Bezug genommen.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist gem. den Art. 43 EuGVVO, §§ 1 Abs. 1 Nr. 2b, 11 ff. AVAG statthaft und auch ansonsten zulässig, so insb. fristgerecht eingelegt worden. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung liegen vor; weder fehlt es an den formellen Voraussetzungen, noch ist ein Vollstreckbarerklärungsversagungsgrund gegeben (Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 34 Brüssel I-VO Rz. 22 ff.; Rauscher/Mankowski, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 45 Brüssel I-VO Rz. 2 ff.).
Zu Recht hat das LG angeordnet, dass der Mahnbescheid des LG Verona vom 18.3.2003 mit der Vollstreckungsklausel zu versehen ist. Dabei ist das LG i.E. zutreffend davon ausgegangen, dass der von dem vorbezeichneten Gericht am 27.4.2004/14.6.2004 für vollstreckbar erklärte Mahnbescheid eine Entscheidung i.S.d. Art. 32, 38 EuGVVO darstellt. Es handelt sich um eine von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung, Art. 32 EuGVVO (Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 34 Brüssel I-VO Rz. 29; Grunsky, IPrax 1996, 245; Kruis, IPrax 2001, 56; OLG München IPRspr. 1999, Nr. 159; EuGH v. 13.7.1995 - Rs. C-474/93, IPrax 1996, 262; OLG Frankfurt, Beschl. v. 20.7.2004 - 20 W 428/03, für den Fall der Vollstreckbarerklärung eines italienischen "decreto ingiuntivo" bei fehlender Widerspruchseinlegung). Einwendungen hiergegen erhebt die Antragsgegnerin auch nicht.
Die formalen Voraussetzungen der Art. 53 ff. EuGVVO sind ebenfalls gegeben. Zwar ist die in Art. 54 EuGVVO bezeichnete Urkunde...