Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertragung der Entscheidungsbefugnis über Wahl des Kindergartens und der Schule
Normenkette
BGB § 1628 S. 1
Verfahrensgang
AG Darmstadt (Beschluss vom 26.03.2024; Aktenzeichen 58 F 2236/23 SO) |
Tenor
Die Entscheidung wird abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Dem Beteiligten zu 4. wird die Entscheidungsbefugnis über den Einschulungszeitpunkt, die Auswahl der Schule, die Anträge auf Unterstützungsmaßnahmen während des Schulbesuchs (§ 35a SGB VIII), die Diagnostik und Therapie der Autismus-Spektrum-Störung des Kindes Q, geb. am XX.XX.2018 übertragen.
Im Übrigen werden die Anträge der Beteiligten zu 3. und 4. und die Beschwerde der Beteiligten zu 3. zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beteiligten zu 3. und 4. je zur Hälfte. Außergerichtliche Auslagen sind nicht zu erstatten.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligte zu 3. (im Folgenden Kindesmutter) und der Beteiligte zu 4. (im Folgenden Kindesvater) sind die geschiedenen Eltern des 6jährigen betroffenen Kindes und üben die elterliche Sorge gemeinsam aus. Sie streiten sich um die Übertragung der Entscheidungsbefugnis über die Wahl des Kindergartens und der Schule, den Einschulungszeitpunkt und die Beantragung von Unterstützungsleistungen in der Schule und im Kindergarten sowie über die Behandlungen und Therapien für ihr Kind. Die Kindeseltern stammen beide aus England und zogen nach Deutschland, als der Kindesvater von seinem Arbeitgeber V zeitlich begrenzt hierher entsendet wurde. Noch vor der Geburt des Kindes kam es zur Trennung. Der Kindesvater kehrte nach England zurück, die Kindesmutter blieb mit dem Kind hier. Die Kindeseltern und das Kind besitzen die britische Staatsangehörigkeit und sprechen kein Deutsch. Der Kindesvater hat aufgrund gerichtlicher Entscheidung regelmäßigen Umgang und kommt hierfür nach Deutschland. Ob der Umgang dann in England oder Deutschland stattfindet, ist zwischen den Eltern streitig geblieben.
Die Kindesmutter betreute das Kind zunächst Zuhause. Ab September 2020 besuchte das Kind die W Kinderkrippe in Stadt1 und wechselte im September 2021 in den W Kindergarten. Seit Dezember 2021 besucht es die Kinderbetreuungseinrichtung X in Stadt2-Ortsteil1.
Die Eltern stimmen darin überein, dass ihr Sohn an einer behandlungsbedürftigen Autismus-Spektrum-Störung leidet, deren Ausmaß jedoch zwischen ihnen streitig geblieben ist. Bereits im Juni 2020 teilte der behandelnde Kinderarzt dem Kindesvater auf dessen Anfrage hin mit, dass eine erhebliche Verzögerung der Sprachentwicklung und verschiedene Verhaltensauffälligkeiten bestehen. Er empfahl eine neurologische und psychologische Diagnostik im Sozialpädiatrischen Zentrum der Kinderkliniken Stadt2. Im Einzelnen wird auf die E-Mail vom 19. Juni 2020 verwiesen.
Die Kindesmutter hat das Kind im Oktober 2022 einem Logopäden und Sprach-therapeuten sowie einer Fachärztin für Kinderheilkunde, Neurobehinderung und Epiletologie in England vorgestellt. Ergänzend hat sie das Kind im Juni 2023 im Autismus-Therapieinstitut Stadt3 vorgestellt. Nach dortiger Einschätzung bestehen autismustypische Auffälligkeiten in der verbalen und nonverbalen Kommunikation, im Spielverhalten und im Explorationsverhalten. Es besteht danach eine Teilhabebeeinträchtigung, bei der auf der Ebene der Körperfunktionen insbesondere die Wahrnehmung, die Handlungsplanung, das Gedächtnis/Aufmerksamkeit, die emotionalen/sozialen Funktionen und kognitiv-sprachlichen Funktionen betroffen sind. Im Einzelnen wird auf den Bericht vom 02. Juni 2023 verwiesen. Eine Vorstellung im Sozialpädiatrischen Zentrum der Kinderkliniken Stadt2 hat nicht stattgefunden, obwohl der Kinderarzt das Kind dort dreimal angemeldet hat.
Zwischen den Kindeseltern waren bereits eine Vielzahl von kindschaftsrechtlichen Verfahren anhängig. Unter anderem hat die Kindesmutter mit Schriftsatz vom 06. Juli 2023 beantragt, ihr die elterliche Sorge im Teilbereich der Gesundheitssorge und das Recht, das Kind in der Kita Schule1 e.V. in Oberursel anzumelden, zu übertragen. In dem bei dem Amtsgericht Darmstadt zu Az. ... geführten Verfahren erklärten sich die Kindeseltern dazu bereit, eine Erziehungsberatung in Anspruch zu nehmen, woraufhin die Kindesmutter ihren Antrag nicht mehr aufrechterhielt. Das Verfahren war beigezogen.
Die Kindesmutter hat erstinstanzlich zuletzt beantragt, ihr das Recht zur alleinigen Anmeldung des gemeinsamen Sohnes an der Schule2 (Schule2), Straße1, Stadt5 sowie die Entscheidungsbefugnis über die Organisation der Autismustherapie zu übertragen und dem Kindesvater insoweit das gemeinsame Sorgerecht zu entziehen. Sie hat geltend gemacht, dass das betroffene Kind an einer massiven Autismus-Spektrum-Störung leide, die den Besuch einer besonderen Schule mit besonderen Förderungsmöglichkeiten erfordere. Die Sprachstörung führe bereits zu massiven Sprachdefiziten in der Muttersprache des Kindes. Es käme ausschließlich eine englischsprachige Besch...