Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsanwaltsvergütung: Begriff der "Angelegenheit", Tätigwerden in Strafvollzugssachen sowohl bei einer einstweiligen Anordnung als auch im Hauptsachverfahren
Leitsatz (redaktionell)
Ist der Rechtsanwalt sowohl im Verfahren einer einstweiligen Anordnung nach § 114 StVollzG wie auch im anschließenden Verfahren in der Hauptsache nach § 109 StVollzG tätig, erhält er die Gebühren insgesamt nur einmal.
Verfahrensgang
LG Marburg (Beschluss vom 06.03.2006; Aktenzeichen 7a StVK 93/05 - 7a StVK 94/05) |
Gründe
Das Landgericht Marburg hat dem Untergebrachten in einer Vollzugssache Rechtsanwalt ## für das einstweilige Anordnungs- und das Hauptsacheverfahren beigeordnet. Rechtsanwalt ## macht für beide Verfahren jeweils getrennte Gebühren geltend. Mit Beschluss vom 10. November 2005 ist der Vergütungsantrag im einstweiligen Anordnungsverfahren zurückgewiesen worden, weil nur eine Angelegenheit nach § 15 Abs. 2 RVG vorliege. Auf die Erinnerung von Rechtsanwalt ## hat das Landgericht Marburg mit Beschluss vom 6. März 2006 diesem weitere 274,11 EUR zugesprochen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Staatskasse.
Die gemäß § 56 RVG statthafte Beschwerde der Staatskasse ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingereicht worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
Der Abgeltungsbereich der Gebühren erfasst nach § 15 Abs. 1 RVG die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts, soweit nichts anderes bestimmt ist. Für das Verfahren einer einstweiligen Anordnung nach § 114 StVollzG ist nichts anderes bestimmt, so dass es sich zusammen mit dem Hauptsacheverfahren nur um eine Angelegenheit handelt. Das Landgericht Marburg stützt sich in dem Beschluss vom 6. März 2006 auf den Gesetzeswortlaut des § 17 Nr. 4 RVG und lässt die Gesetzesmaterialien außen vor, weil das Gesetz eindeutig sei. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Der Begriff der Angelegenheit ist im 3. Abschnitt des RVG beginnend mit § 16 geregelt. Hartmann (Kostengesetze, 36. Aufl., RVG § 16 Rdn. 1) bemerkt hierzu:
"Die Vorschrift eröffnet als Ergänzung zu § 15 Abs. 1 die lange Reihe von Aufzählungen zahlreicher ziemlich verwirrend aneinandergereihter Situationen, in denen bald dieselbe Angelegenheit vorliegt, bald "verschiedene" und bald "besondere" Angelegenheiten sprachlich noch weniger klar voneinander getrennt folgen und schließlich Rechtszugszuordnungen die Unübersichtlichkeit nochmals steigern, bei deren Aufzählung dann in § 19 Abs. 2 plötzlich eine Rückkehr zur Einordnung nach dem Begriff der Angelegenheit die "Krönung" dieses Wirrwars bildet."
Eine isolierte Betrachtung von § 17 Nr. 4 RVG ist danach nicht möglich. Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Dr. 15/1971 S. 191) soll diese Vorschrift in Verfahren nach der StPO gerade nicht gelten. Diesem Willen des Gesetzgebers ist bei der Auslegung der Vorschrift Rechnung zu tragen (vgl. Hartmann, a.a.O., § 17 RVG Rdn. 11; Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., § 17 Rdn. 20; Bischof/Jungbauer/Podlech-Trappmann, RVG, § 17 Rdn. 17). Gesonderte Gebühren für das einstweilige Anordnungsverfahren können deshalb nicht beansprucht werden.
Fundstellen