Verfahrensgang

LG Gießen (Entscheidung vom 24.09.1980; Aktenzeichen 1 S 172/80)

AG Gießen (Aktenzeichen 45 C 539/80)

 

Tenor

Das allgemeine öffentliche Interesse an der Druchführung eines Bauvorhabens, das die Errichtung eines Mehrzweckgebäudes mit Parkplätzen, Geschäftsräumen und Wohnungen zum Gegenstand hat, stellt kein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Heendigung des Mietverhältnisses (§ 564 b Abs. 1 BGB) dar.

 

Gründe

Die Klägerin hat an die Beklagte zu 1) eine Wohnung im Hause … vermietet. Von der Beklagten zu 1) ist ein Teil der Wohnung an die Beklagten zu 2) und 3) untervermietet worden.

Die Klägerin beabsichtigt, das Haus … abzureißen. Über das Grundstück soll die Zufahrt zum Parkraum eines auf den Nachbargrundstücken in Bau befindlichen Mehrzweckgebäudes mit Parkplätzen, Geschäftsräumen und 79 Wohnungen angelegt werden.

Dementsprechend beschloß die Stadtverordnetenversammlung der Klägerin einen Bebauungsplan. Nach Erteilung der Zustimmung zu einer Teilbaugenehmigung für das Mehrzweckgebäude durch den zuständigen Regierungspräsidenten kündigte die Klägerin gegenüber der Beklagten zu 1) das Mietverhältnis zum 29. Februar 1980.

Am 12. Februar 1980 genehmigte der Regierungspräsident den Bebauungsplan. Die Genehmigung wurde von der Klägerin am 10. März 1980 veröffentlicht. Eine Abbruchgenehmigung für das Gebäude … lag zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung nicht vor.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von den Beklagten die Räumung und die Herausgabe der Wohnung. Vom Amtsgericht ist die Klage abgewiesen worden. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht gemäß Art. III Abs. 1 des Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften vom 21. Dezember 1967 in der Fassung des Gesetzes vom 5. Juni 1980 (BGBl. I, 657) dem Oberlandesgericht folgende Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt:

  1. Stellt das öffentliche Interesse an der Durchführung eines Bauvorhabens ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses dar?
  2. Genügt der Vermieter den Anforderungen des § 564 b Abs. 3 BGB, wenn er in dem Kündigungsschreiben lediglich mitteilt, die Stadtverordnetenversammlung habe den Bau eines Mehrzweckgebäudes mit Parkplätzen, Geschäftsräumen und Wohnungen beschlossen?
  3. Steht der Annahme eines berechtigten Interesses an der Beendigung des Mietverhältnisses entgegen, wenn im Zeitpunkt der Kündigung

    1. nur eine Teilbaugenehmigung für die Erdarbeiten und die Fundamente des geplanten Bauvorhabens vorlag;
    2. die aufsichtsbehördliche Genehmigung des Bebauungsplanes noch nicht erteilt war;
    3. noch keine Abbruchgenehmigung für das zum Abbruch bestimmte Gebäude vorlag?

Das Landgericht meint, daß die Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung hätten; eine Entscheidung über die weiteren Fragen erübrige sich allerdings, wenn sich aus einem der in Betracht kommenden Gesichtspunkte die Unwirksamkeit der Kündigung ergebe.

Der Rechtsentscheid ist bezüglich der ersten Frage zulässig. Diese betrifft eine Rechtsfrage, die den Bestand eines Mietvertragsverhältnisses über Wohnraum betrifft. Sie hat grundsätzlich Bedeutung; auch sie ist durch Rechtsentscheid noch nicht entschieden (Art. III Abs. 1 Satz 1 des MietÄndG i.d.F. des Gesetzes vom 5. Juni 1980). Zwar hat das Bayerische Oberste Landesgericht in seinem Beschluß AR 83/80 vom 21. November 1980 ausgesprochen, eine Gemeinde, die ein Mietverhältnis über Wohnraum kündige, könne sich zur Begründung ihres berechtigten Interesses im Sinne des § 564 b Abs. 1 und 2 BGB darauf berufen, daß sie den Wohnraum zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben benötige. Dieser Satz ist jedoch zu allgemein gehalten, um als bindende Entscheidung einer Rechtsfrage zu gelten. Das meint offenbar das Bayerische Oberste Landesgericht selbst, wenn es ausführt, es könne dahinstehen, ob alle Interessen einer Gemeinde Berücksichtigung finden könnten, die irgendwie mit der Erfüllung ihrer Aufgabe zusammenhingen; jedenfalls seien im Rahmen des § 564 b BGB b grundsätzlich auch solche Interessen als berechtigt anzusehen, die die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben der Gemeinde nach Art. 7 und 57 BayGO zum Gegenstand hätten. Das sind im Falle des Bayerischen Obersten Landesgerichts die Bereitstellung von Räumen für den theoretischen Unterricht der Feuerwehr sowie für kulturelle und soziale Zwecke, nämlich ein Raum zum Turnen, ein Versammlungs- und Übungsraum für einen örtlichen Gesangverein und ein Raum für eine Weberschule. Bei der Vorlage an den Senat hingegen handelt es sich um die Einrichtung eines Mehrzweckgebäudes mit Parkplätzen, Geschäftsräumen und Wohnungen. Die daran geknüpfte Rechtsfrage ist, was ebenfalls noch zur Zulässigkeit des Rechtsentscheids gehört, für die Entscheidung des Rechtsstreits auch erheblich; denn von ihrer Beantwortung hängt die Wirksamkeit der Kündigung ab.

Da die Frage so, wie sie vom Landgericht formuliert worden ist, nicht einheitlich beantwortet werden kann, es vielmehr darauf ankommt, um welches Bauvorhaben es sich handelt, ergänzt der Senat die Vorlage...

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