Entscheidungsstichwort (Thema)
Cum/ex-Aktiengeschäfte: Haftung der Depotbank des Verkäufers für Steuernachforderungen und der strafrechtlichen Einziehung unterliegender Beträge
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Haftung der Depotbank des Verkäufers gegenüber dem Aktienerwerber für Steuernachforderungen und eingezogene Beträge, insbesondere im Rahmen eines Gesamtschuldnerausgleichs und wegen Beihilfe zu einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung
Normenkette
AO §§ 39, 44; BGB §§ 426, 826, 830; EStG 2011 § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 4, § 44; StGB § 73b; StPO § 424
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 23.09.2020; Aktenzeichen 2-18 O 386/18) |
Tenor
Die Berufung der Klägerinnen gegen das am 23.09.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main (Az.: 2-18 O 386/18) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Mit der Berufung wenden sich die Klägerinnen gegen die Abweisung ihrer Klage, mit der sie die Beklagte im Zusammenhang mit sog. Cum/ex-Geschäften im Wege der Stufenklage auf Auskünfte über Aktienkäufe der Klägerin zu 2) in den Jahren 2007 bis 2011, Freistellung von der Verpflichtung zur Zahlung von Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag aus einem ihrer Meinung nach bestehenden steuerrechtlichen Gesamtschuldverhältnis und Ersatz des Verzögerungsschadens sowie auf Feststellung der Freistellungpflicht der Beklagten hinsichtlich der Zahlungspflichten aufgrund der Einziehungsentscheidung gemäß Urteil des Landgerichts Bonn vom 18.03.2020, 62 KLs 1/19, und künftiger strafrechtlicher Einziehungsentscheidungen in Anspruch genommen haben.
Die Klägerin zu 1) ist die Finanzholdinggesellschaft der Bank3-Bankengruppe, einer Privatbank mit Sitz in Stadt2. Die Klägerin zu 2) ist eine inländische Bank, zu deren Geschäftstätigkeit der Eigenhandel mit Wertpapieren gehört und die auch als eigene Depotbank auftritt. Zwischen den Klägerinnen besteht seit 01.01.2007 eine steuerliche Organschaft mit der Klägerin zu 2) als Organgesellschaft und der Klägerin zu 1) als Organträgerin. Nach § 14 Abs. 1 KStG wird das Ergebnis der Klägerin zu 2) der Klägerin zu 1) für steuerliche Zwecke zugerechnet.
Die Beklagte ist eine internationale Großbank.
Zwischen dem 02.05.2007 und dem 26.05.2009 tätigte die Klägerin zu 2) insgesamt 269 und zwischen dem 21.01.2010 und dem 25.01.2011 weitere 122 Transaktionen betreffend den Erwerb von Aktien, wie auf Seite 4 bis 7 der Klageschrift und im klägerischen Schriftsatz vom 30.06.2020 (Bl. 4 ff., 447 ff. d.A.) im Einzelnen aufgelistet. Hierbei erwarb die Klägerin zu 2) jeweils außerbörslich im OTC-Handel von dem Stadt3er/Großbritannien Brokerhaus Firma1 Ltd. (im Folgenden nur: Firma1) Aktien deutscher börsennotierter Aktiengesellschaften kurz vor dem Dividendenstichtag und damit mit Dividendenanspruch (sog. Cum-Aktien).
Die Abwicklung der Käufe erfolgte stückelos über den deutschen Zentralverwahrer, die Bank4 AG, im Effektengiroverkehr über die jeweiligen Depotkonten. Die Beklagte trat dabei als inländische Depotbank der Verkäuferin Firma1 auf, während die Klägerin zu 2) ihr Depotkonto selbst führte.
Über die Transaktionsbedingungen der Aktienkäufe (Volumina, Preis, Kaufdatum, Regulierungs-/Lieferungsdatum etc.) verständigten sich die Klägerin zu 2) und die Firma1 über typische OTC-Handels- bzw. Netzwerktools, hielten diese in entsprechenden Auftragsbestätigungen fest und gaben diese anschließend in das bei der Bank4 AG für den Vollzug derartiger Transaktionen eingerichteten technische Abwicklungssystem "X" ein.
Die Aktien wurden vereinbarungsgemäß jeweils erst zwei Börsenhandelstage nach dem Dividendenstichtag über das für die Firma1 bei der Beklagten geführte Depot geliefert und damit ohne Dividendenanspruch (sog. Ex-Aktien).
Bei einer der Transaktionen deckte sich die Firma1 mit den an die Klägerin zu 2) verkauften 1,85 Mio. Aktien der Firma2 AG dergestalt ein, dass sie diese am selben Handelstag wie der Verkauf von der Stadt3er/Großbritannien Niederlassung der Beklagten erwarb, die ihrerseits von der Bank5 plc erworben hatte, welche ihrerseits die Aktien von der Stadt4er Niederlassung der Beklagten im Wege eines Wertpapierdarlehens mit Vertragsschluss nach dem Dividendenstichtag (28.04.2008) "ex/ex" zur Verfügung gestellt bekam.
In Fällen, in denen Aktien "cum" Dividendenberechtigung veräußert, aber "ex" Dividende geliefert wird, erhält der Erwerber für den geringeren wirtschaftlichen Wert der Aktien zum Ausgleich eine Zahlung. Hat der Veräußerer die verkauften Aktien tatsächlich in seinem Bestand, handelt es sich um einen sog. Inhaberverkauf. In einem solchen Fall leitet die Bank4 AG regelmäßig die an den Veräußerer gezahlte ...