Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Neuwagen-Eigenschaft eines Fahrzeuges
Normenkette
BGB § 434
Verfahrensgang
LG Gießen (Urteil vom 04.03.2020; Aktenzeichen 3 O 71/19) |
Tenor
Ein Rechtsmittel ist nicht bekannt geworden.
Auf die Berufung der Beklagten zu 1. wird das am 4.3.2020 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Gießen (Az. 3 O 71/19) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Das Versäumnisurteil des Landgerichts Gießen vom 5.6.2019 (Az. 3 O 71/19) wird aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat, abgesehen von den Kosten der Säumnis der Beklagten zu 1. im Termin vom 5.6.2019, die der Beklagten zu 1. zur Last fallen, die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zu tragen. Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin die Gerichtskosten sowie die eigenen außergerichtlichen Kosten und diejenigen der Beklagten zu 1. zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. im Berufungsverfahren hat diese selbst zu tragen.
Dieses und - im Umfang seiner Aufrechterhaltung - das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird für die Berufung der Beklagten zu 1. auf bis zu 65.000,00 EUR und für die Berufung der Beklagten zu 2. auf 500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin macht gegen die Beklagte zu 1. als Verkäuferin und gegen die Beklagte zu 2. als Herstellerin Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Fahrzeugs VW T6 California Beach Edition geltend.
Das von der Beklagten zu 2. am 12.8.2017 hergestellte Fahrzeug wurde zunächst an ein Autohaus in Österreich ausgeliefert. Die X KG, ein auf den Re-Import von Fahrzeugen spezialisiertes Unternehmen, erwarb das Fahrzeug dort und verkaufte es an die Beklagte zu 1.
Die Beklagte zu 1. inserierte das Fahrzeug am 11.8.2018 auf der Internetplattform "www.(...).de" und gab dabei zutreffend an, das Fahrzeug sei erstmals im Juni 2018 zugelassen worden. Sie beschrieb das Fahrzeug als "Lagerfahrzeug/sofort verfügbar/EU-Neufahrzeug mit Tageszulassung".
Unter dem 14.8.2018 unterzeichnete die Klägerin, die aufgrund des Inserats auf "www.(...).de" auf das Fahrzeug aufmerksam geworden war, ein mit "Kaufvertrag/Bestellung" überschriebenes Formular. Der Kaufpreis für das Fahrzeug betrug 51.000,00 EUR. Darüber, das Fahrzeug von der X KG erworben zu haben, informierte die Beklagte zu 1. die Klägerin nicht.
Das Fahrzeug ist in die Schadstoffklasse EU 6 eingeordnet und nicht mit einem Dieselmotor vom Typ EA 189 ausgestattet, sondern mit einem Dieselmotor vom Typ EA 288. Es weist nicht die aus Fahrzeugen mit dem EA 189-Motor bekannte "Umschaltlogik" auf, die das Durchlaufen des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NFEZ) auf einem Prüfstand erkennt und davon abhängig die Abgasrückführungsrate steuert. Allerdings wird die Rate der Abgasrückführung unter anderem von der Umgebungstemperatur abhängig gesteuert (sogenanntes "Thermofenster"). Zudem hatte die Beklagte zu 2. noch vor der Erstauslieferung und -zulassung eine Anpassung der Motorsteuerung an dem Fahrzeug durchgeführt.
Die Klägerin hat zunächst alleine die Beklagte zu 1. in Anspruch genommen und behauptet, es habe sich nach Übergabe des Fahrzeugs an sie herausgestellt, dass dieses vom sogenannten "VW-Abgasskandal" betroffen gewesen sei und erst aufgrund der Durchführung des Softwareupdates auch im realen Fahrbetrieb in einem Modus mit höherer Abgasrückführung betrieben werde. Folge davon seien ein erhöhter Kraftstoffverbrauch, eine geringere Laufleistung und eine Zunahme der Partikelemissionen sowie ein dem Fahrzeug anhaftender Minderwert von mindestens 10 %.
Mit Schriftsatz vom 4.6.2019 (Bl. 67 ff. d. A.) hat sie dann geltend gemacht, bei dem vorhandenen "Thermofenster" handele es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO EG 715/2007, und behauptet, der Kraftstoffverbrauch des Fahrzeuges entspreche nicht den Angaben in der Übereignungsbescheinigung und dem Inserat bei "www.(...)de".
Eine Täuschung der Klägerin liege im Übrigen darin, dass die Beklagte zu 1. die Klägerin nicht darüber aufgeklärt habe, das Fahrzeug über einen Zwischenhändler erworben zu haben, was die Klägerin nur zufällig erfahren habe, weil das Serviceheft gefehlt und sie bei dem in den Zulassungsdokumenten als Erstbesitzer eingetragenen österreichischen Autohaus nachgefragt habe.
Schließlich sei die Klägerin nach dem Inhalt des Inserats wie auch des Vertrages davon ausgegangen, ein fabrikneues Fahrzeug zu erwerben. Diese Eigenschaft habe das Fahrzeug bei Abschluss des Vertrages am 14.8.2018 aber nicht mehr aufgewiesen, weil seit seiner Herstellung bereits mehr als 12 Monate vergangen gewesen seien.
Aufgrund der in der Klageschrift genannten Mängel des...