Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonderkündigungsrecht des Erstehers in der Zwangsversteigerung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Zeitpunkt der Verkündung des Zuschlags ist für die Bestimmung des ersten zulässigen Kündigungstermins im Sinne des § 57a ZVG auch dann maßgeblich, wenn neben der Zwangsversteigerung die Zwangsverwaltung angeordnet ist.
2. Die über den Zeitpunkt der Verkündung des Zuschlagsbeschlusses fortbestehende Zwangsverwaltung hat weder zur Folge, dass das Sonderkündigungsrecht gem. § 57a ZVG dem Zwangsverwalter zusteht, noch dass dieses von dem Ersteher erst nach der Aufhebung der Zwangsverwaltung ausgeübt werden kann.
Normenkette
ZVG §§ 57, 57a, 148 Abs. 2; BGB § 566
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Urteil vom 12.05.2016; Aktenzeichen 3 O 269/15) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 3. Zivilkammer - Einzelrichter - des LG Darmstadt vom 12.5.2016 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 115 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin macht gegenüber den Beklagten Räumungs- und Herausgabeansprüche hinsichtlich der Praxisräume im Erdgeschoss der Immobilie Straße1 in Stadt1 geltend.
Der Beklagte zu 1) führte eine Arztpraxis in den vorgenannten Räumlichkeiten, die sich auf dem Grundstück Flur ..., Flurstück ... Blatt O des Grundbuchs von Stadt1 befinden. Das Grundstück stand ursprünglich im Eigentum des Beklagten zu 1) und seiner Ehefrau.
Mit Beschluss vom ... 2012 (Bl. 4 d.A. Az.: 10 des AG Stadt2) wurde im Hinblick auf das Grundstück die Zwangsversteigerung angeordnet. Mit Beschluss vom ... 2013 (Anlage K 2, Bl. 13 d.A.) wurde das Grundstück außerdem unter Zwangsverwaltung gestellt.
Die Zwangsverwalterin schloss mit dem Beklagten zu 1) am 27.2.2013 einen bis zum 31.8.2018 befristeten Mietvertrag über die Praxisräume wegen dessen weiteren Inhalts auf Anlage K 3 (Bl. 14 ff. d.A.) Bezug genommen wird.
Mit Beschluss des AG Darmstadt vom 1.3.2013 nebst Berichtigungsbeschluss vom 7.3.2013 (Anlage K 1, Bl. 11 ff. d.A.) wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten zu 1) eröffnet und der Beklagte zu 2) zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte zu 2) führt die Arztpraxis fort, wobei er sich des Beklagten zu 1) bedient.
Im Zwangsversteigerungsverfahren hinsichtlich des Grundstücks erhielt die Klägerin mit Beschluss vom 16.3.2015 (Anlage K 5, Bl. 23 f. d.A.) gegen ein Bargebot von 354.000,00 EUR den Zuschlag. Der Zuschlagsbeschluss wurde im Zwangsversteigerungstermin am 16.3.2015 verkündet (Protokoll Bl. 333 d.A. Az.: 10 des AG Stadt2). Der Klägerin war zu diesem Zeitpunkt bekannt, dass die Zwangsverwalterin die streitgegenständlichen Praxisräume an den Beklagten zu 1) vermietet hatte.
Der Beklagte zu 2) legte hiergegen mit Schriftsatz vom 24.3.2015 (Anlage K 6, Bl. 25 ff. d.A.) Zuschlagsbeschwerde ein, der das AG Stadt2 nicht abhalf. Mit Beschluss vom 27.5.2015 (Anlage K 8, Bl. 30 ff. d.A.) wies das LG Darmstadt die Beschwerde des Beklagten zu 2) zurück.
Mit Beschluss vom ... 2015 (Anlage K 9, Bl. 33 ff. d.A.) hob das AG Stadt2 die Zwangsverwaltung auf. Die Zwangsverwalterin zeigte dies der Klägerin mit Schreiben vom 9.7.2015 (Anlage K 10, Bl. 35 d.A.), der Klägerin zugegangen am 14.7.2015, an.
Mit Schreiben vom 14.7.2015 (Anlage K 11, Bl. 36 f. d.A.), den Beklagten zugegangen am 15.7.2015 (Anlagen K 12 und K 13, Bl. 38 f. d.A.), kündigte die Klägerin gegenüber beiden Beklagten den Mietvertrag über die Praxisräume zum nächstmöglichen Zeitpunkt, hilfsweise zum 31.1.2018, und forderte sie auf, die Mieträume bis spätestens zum 31.3.2016 herauszugeben.
Mit Schreiben vom 20.7.2015 (Anlage K 14, Bl. 40 d.A.) widersprach der Beklagte zu 2) der Kündigung zum 31.3.2016. Mit Zeitungsanzeige vom 27.8.2015 (Anlage K 15, Bl. 41 d.A.) kündigte der Beklagte zu 1) an, die Arztpraxis bis zum Februar 2018 in den vorgenannten Praxisräumen fortzuführen.
Die Klägerin ist der Ansicht, sie habe ihr Sonderkündigungsrecht nach § 57a ZVG wirksam ausgeübt, insbesondere habe sie die gesetzliche vorgesehene Frist für dessen Ausübung eingehalten. Nicht die bloße theoretische Möglichkeit bestimme den ersten zulässigen Termin, sondern die Frage, ob die Ausübung des Rechts dem Erwerber unter Beachtung der erforderlichen Sorgfalt tatsächlich möglich gewesen sei. Hieran seien keine überspannten Anforderungen zu stellen. Die Klägerin habe die Kündigung erst nach der Aufhebung der Zwangsverwaltung aussprechen können, da bis zu diesem Zeitpunkt - und damit auch noch nach Erteilung des Zuschlags - die Verwaltungsbefugnis der Zwangsverwalterin zugestanden hätte.
Die Beschlagnahme im Zwangsverwaltungsverfahren, durch die der Eigentümer jede Befugnis zur Verfügung und Nutzung...