Entscheidungsstichwort (Thema)
Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme: Verwertung von Zeugenaussagen im Wege des Urkundenbeweises
Leitsatz (amtlich)
Es ist grundsätzlich zulässig, Aussagen von im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen im Wege des Urkundenbeweises zu verwerten. Einer Zustimmung zur Verwertung des Gegners des Beweisführers bedarf es hierzu nicht. Stellt díeser aber einen Antrag auf persönliche Vernehmung der Zeugen, ist diesem Antrag grundsätzlich wegen der Schwäche des Urkundenbeweises durch das Protokoll und dem Anspruch auf die Zeugenvernehmung mit allen prozessuallen Garantien nachzukommen. Eine ausschließliche Verwertung von Protokollen ist dann unzulässig.
Normenkette
ZPO § 355
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 03.03.2020; Aktenzeichen 2-17 O 150/18) |
Tenor
Auf die Berufungen der Beklagten und der Streithelferin wird das am 3.3.2020 verkündete Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main nebst dem zugrundeliegenden Verfahren aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; im Übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens dem Landgericht vorbehalten.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagten als gesetzliche Erben auf Grund eines Verkehrsunfallgeschehens vom XX.XX.2016 in Anspruch.
Am Unfalltag befuhr der Kläger um 16:52 Uhr mit dem von ihm geführten LKW die "Straße1" Stadt1 in Fahrtrichtung Stadtteil1. Vor einer geschlossenen Bahnschranke hielt er seinen LKW an der Haltelinie an. Zur selben Zeit befand sich die am XX.XX2004 geborene Tochter der Beklagten gemeinsam mit der Zeugin A - die ihre Tante ist - und ihrer Schwester auf dem Nachhauseweg von der Schule. Die Tochter der Beklagten war bereits ein Stück weit vorausgefahren. Der Heimweg führte vor dem Bahnübergang, an dem der Kläger wartete, von einem dort schräg einmündenden Fußweg aus, quer über den Kalbacher Weg in den Fußweg in den gegenüberliegenden Park. Nach dem Öffnen der Bahnschranke fuhr der Kläger mit dem von ihm geführten LKW an, wobei er die Tochter der Beklagten mit seinem LKW erfasste und diese tödlich verletzt wurde. Die weiteren Einzelheiten des Unfallhergangs sind zwischen den Parteien streitig. Der Kläger hat außergerichtlich Ansprüche gegen die Beklagten geltend gemacht, die die Dürftigkeitseinrede nach § 1990 BGB erhoben haben. Er hat seit dem Unfall nicht mehr gearbeitet.
Der Kläger hat behauptet, der Unfall sei für ihn unabwendbar gewesen. Als die Schranke noch geschlossen gewesen sei, habe niemand am Fußgängerweg gestanden. Vor dem Anfahren habe er nachgesehen, ob sich jemand vor dem Lkw befunden habe. Die Tochter der Beklagten habe er nicht sehen können. Diese sei ohne auf den Verkehr zu achten, in die Straße eingefahren. Seit dem Unfall habe er keiner Berufstätigkeit mehr nachgehen können und seine Arbeitsstelle verloren. Er leide unter einer Belastungsstörung. Wegen der weiteren Einzelheiten der Behauptungen des Klägers zu den Unfallfolgen wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (S. 3 LGU, Bl. 216 d.A.) Bezug genommen. Der Kläger verlangt von den Beklagten Verdienstausfall, Schmerzensgeld, eine monatliche Geldrente sowie die Feststellung ihrer Einstandspflicht für die Unfallfolgen. Hierzu ist er der Ansicht, dass ihn kein Verschulden an dem Unfallgeschehen treffe.
Der Kläger hat seinem Ausfallversicherer, der Versicherung1 AG, den Streit verkündet. Diese ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten.
Die Beklagten und die Streithelferin haben die Aktivlegitimation des Klägers hinsichtlich der Klageanträge zu 1. und 3. bestritten, da der Kläger als im Unfallzeitpunkt gesetzlich versicherter Arbeitnehmer einen Arbeitsunfall erlitten habe.
Die Beklagten haben behauptet, ihre Kinder hätten vor dem Überqueren der "Straße1" immer angehalten und die Straße eingesehen. Die Zeugin A habe ihre Tochter im Blick gehabt und diese kurz vor dem Unfall noch anhalten sehen. Ihre Tochter habe sich nach ihrer Tante und ihrer Schwester umgesehen, als sie sich noch auf dem fast parallel zur Straße führenden Fußweg befunden habe. Anschließend habe ihre Tochter die Verkehrssituation überprüft und ein Abbremsen des LKW als Zeichen gedeutet, dass dessen Fahrer sie vorbeilassen werde. Der Kläger habe ihre Tochter dort, wo sie angehalten habe, sehen können. Sie sind der Ansicht, der Kläger habe sich vergewissern müssen, dass ihre Tochter nicht in seinen Fahrweg einfahre, nötigenfalls habe er seine Einsichtsmöglichkeit durch Aufstehen verbessern müssen. Zu Lasten des Klägers sei auch die leicht verschmutzte Windschutz- und Seitenscheibe des LKW zu berücksichtigen. Sie sehen das überwiegende Verschulden an dem Unfallgeschehen bei dem Kläger, halten aber jedenfalls eine Haftungsquotierung für erforderlich. Den vom Kläger geltend gemachten Verdienstausfallschaden haben sie bestritten.
Das Landgericht hat den Kläger informatorisch zum Unfallhergang angehört ...