Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung eines Mörders gegenüber verauslagendem Bundesland für Heilbehandlungskosten, Waisenrente und Bestattungsgeld der Opfer
Normenkette
BGB §§ 823, 844; BVG § 81a; OEG § 5; StGB §§ 211, 223
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Urteil vom 30.03.2022; Aktenzeichen 29 O 199/20) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 29. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 30.03.2022 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das angefochtene und das Berufungsurteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 110 % des gegen ihn vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung seinerseits Sicherheit in Höhe von 110 % des Betrages leistet, dessen Vollstreckung er betreibt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Das klagende Land Hessen (im Folgenden: der Kläger) begehrt mit der Klage gegen den Beklagten Schadensersatz in Höhe von 69.308,09 EUR zzgl. Zinsen aus übergegangenem Recht.
Am Morgen des XX.XX.2009 wurden die Eheleute X in ihrem Reihenendhaus in der Straße1 in Stadt1 erschossen und ihre erwachsene, an einer Form des Autismus leidende Tochter, Vorname1 X, durch Schüsse schwer verletzt. Der Beklagte und seine Familie waren die unmittelbaren Reihenhausnachbarn der Familie X.
Der Beklagte wurde wegen dieser Tat mit Urteil der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Darmstadt (Az: ...) vom 19.07.2011 wegen Mordes in zwei Fällen sowie wegen versuchten Mordes zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die dagegen eingelegte Revision des Beklagten wurde mit Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 10.07.2012 (Az: ...) als unbegründet verworfen. Der von dem Beklagten gestellte Wiederaufnahmeantrag blieb ohne Erfolg und wurde durch Beschluss des Landgerichts Kassel vom 19.08.2019 (BI. 6596 ff. Band XXI der Strafakte) verworfen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen die Entscheidung des Landgerichts Kassel mit Beschluss vom 25.05.2020 verworfen (BI. 6754 ff. Band XXI der Strafakte).
Wegen der Feststellungen des Schwurgerichts wird auf dessen Urteil vom 19.07.2011 (Sonderband Urteil der beigezogenen Strafakte) sowie auf die Darstellung im landgerichtlichen Urteil der Vorinstanz verwiesen (Bl. 172 ff. d.A.).
Mit Bescheid vom 18.12.2013 (Anlage K 3, BI. 24 f. d.A.) stellte der Kläger fest, dass die geschädigte Vorname1 X durch die Tat am XX.XX.2009 eine gesundheitliche Schädigung im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) erlitten hat, und erkannte als Folgen dieser Schädigung linksseitige Hirninfarkte, die Verschlimmerung eines Vorschadens mit Autismus und Intelligenzminderung, sowie den Verlust der Zähne 17, 27 und 31-37 an. Der Kläger begehrt nun von dem Beklagten die Erstattung von der Höhe nach unstreitigen Heilbehandlungskosten, Waisenrente und Bestattungsgeld.
Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, der Beklagte habe am XX.XX.2009 die Eheleute X erschossen und die Tochter, Vorname1 X, durch zwei Schüsse schwer verletzt. Er beruft sich dabei auf die Feststellungen des Schwurgerichts im Urteil vom 19.07.2011 sowie die Beiziehung der Strafakte. Der Beklagte habe als direkter Nachbar unter der beträchtlichen Lärmstörung gelitten, die von der Familie X ausgegangen sei. Der Beklagte sei unter anderem deshalb verurteilt worden, weil nachweislich, unter Zuordnung der IP-Adresse, von einem Rechner der Firma, in der der Beklagte beschäftigt war, Schweizer Internetseiten aufgerufen worden waren, auf denen es um die Beschreibung eines Eigenbau-Schalldämpfers gegangen sei, der bei der Tat benutzt worden sei. Weiter habe der Täter die genauen Eigenheiten der Familie X kennen müssen, insbesondere, dass der getötete Vorname2 X jeden Morgen pünktlich um 4.00 Uhr durch die Tür der Souterrainwohnung das Haus verlassen habe. Des Weiteren seien an Kleidungsstücken des Beklagten Schmauchspuren gefunden worden, die in ihrer chemischen Zusammensetzung zu den am Tatort aufgefundenen Schmauchspuren gepasst hätten. Die dabei festgestellte chemische Zusammensetzung der Schmauchspuren trete nur bei 1/6 aller weltweit verwandten Munition auf.
Der Beklagte hat erstinstanzlich die Tat bestritten. Es sei in dem Urteil des Schwurgerichts unzutreffend festgestellt worden, dass die Schüsse auf Vorname2 und Vorname3 X sowie Vorname1 X unter Verwendung einer mit Bauschaum gefüllten PET-Flasche abgegeben worden seien.
Der Sachverständige A habe entgegen den Ausführungen des Schwurgerichtes nicht bestätigt, dass bei steigender Anzahl der Schüsse immer weniger Partikel hinausgeschleudert werden.
Zudem zeige sich aus 10 neuen Videoclips, die die Verteidigung am 15.12.2015 vom Bundeskriminalamt erlangt hat, dass durch das in den Boden der Flasche mittig eingestanzte Loch nicht nur das Geschoss herausfliege, sondern mit jedem Schuss auch erhebliche Mengen an Bauschaum, auch größere Partikel in Flockenfo...