Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des Miterben auf Erfüllung des Vorausvermächtnisses vor der Erbauseinandersetzung gegenüber der Erbengemeinschaft. Verfügungsbeschränkung bei Vorliegen einer Nachvermächtnisnehmerbelastung in Bezug auf ein Vorausvermächtnis
Normenkette
BGB §§ 133, 160 Abs. 1, § 883 Abs. 1 S. 2, §§ 2058, 2059 Abs. 1, §§ 2084, 2147, 2150, 2160, 2191 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Kassel (Urteil vom 28.04.1998; Aktenzeichen 9 O 1573/97) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 28. April 1998 (9 O 1573/97) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
Der Beklagte wird verurteilt, als Miterbe zu 1/2 darin einzuwilligen, daß sich die Klägerin als weitere Miterbin zu 1/2 aus dem Nachlaß des am 9. Mai 1994 verstorbenen …, geboren am … zuletzt wohnhaft gewesen in …, vorab in der Weise befriedigt, daß sie das Alleineigentum erwirbt an dem Wohnungseigentum Grundbuch von … Band … Blatt …, Miteigentumsanteil zu … an dem Grundstück Gemarkung … Flur …, Flurstück …, Hof- und Gebäudefläche … verbunden mit dem Sondereigentum an der Wohnung Nr. 1 und an dem Kellerraum Kl, und zwar Zug um Zug gegen Bewilligung einer Auflassungsvormerkung zur Sicherung eines, für den Fall des Vorversterbens der Klägerin entstehenden Anspruchs des Beklagten gegen deren Erben auf Einräumung des vorgenannten Wohnungs-Alleineigentums aus dem Nachvermächtnis des Erblassers in Nr. 2 des eigenhändigen Testaments vom 1. Februar 1990.
In dem darüber hinausgehenden Umfang wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 75 % und der Beklagte 25 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 42.000 DM abwenden, wenn nicht die Klägerin vor ihrer Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Klägerin darf die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 11.000 DM abwenden, wenn nicht der Beklagte vor seiner Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Der Wert der Beschwer der Parteien beträgt für die Klägerin 105.000 DM und für den Beklagten 35.000 DM.
Tatbestand
Die Klägerin, in ungeteilter Erbengemeinschaft mit dem Beklagten Miterbin zu 1/2, nimmt als Vermächtnisnehmerin den Beklagten als Nachvermächtnisnehmer auf Einwilligung in ihren Verkauf der ihr vom Erblasser vermachten Eigentumswohnung an einen Dritterwerber, hilfsweise auf Einräumung des alleinigen Wohnungseigentums an sich, in Anspruch. Der Beklagte stellt im Hinblick auf sein Nachvermächtnis hinsichtlich des nämlichen Wohnungseigentums die Befugnis der Klägerin zur unbeschränkten freien Verfügung über das Wohnungseigentum in Abrede.
Die Klägerin ist die Witwe des am … verstorbenen … dessen zweite Ehefrau sie war. Der Beklagte ist der – in erster Ehe adoptierte – Sohn des Erblassers.
Der Erblasser hatte mit seiner, in 1975 verstorbenen ersten Ehefrau ein gemeinschaftliches notarielles Testament errichtet, in welchem dem überlebenden Ehegatten das Recht eingeräumt ist, die getroffenen Bestimmungen abzuändern, aufzuheben und anderweitige Verfügungen von Todes wegen zu errichten. Am 01.02.1990 errichtete er ein privatschriftliches eigenhändiges Testament, in welchem er in fünf Ziffern Regelungen über das Hausgrundstück … (Ziffer 1), über die Eigentumswohnung … (Ziffer 2), über ein Festgeldkonto (Ziffer 3), über Wertpapiere und weiteres Festgeld (Ziffer 4) und über ein Sparbuch (Ziffer 5) traf. Danach soll das Hausgrundstück zu gleichen Teilen an die Klägerin und an den Beklagten gehen, und von den anfallenden Kosten für Reparaturen, Grundsteuer usw. sollen 1/4 die Klägerin und 3/4 der Beklagte tragen. Dem liegt – so der Erblasser – „die Personenzahl zugrunde” (Ziffer 1).
Von einem Festgeldkonto sollen die Enkel … 50.000 DM erhalten (Ziffer 3). Die Wertpapiere soll der Beklagte erhalten, aber 50 % der Zinseinnahmen an die Klägerin abführen (Ziffer 4). Ein weiteres Festgeldkonto mit 75.000 DM und ein Konto über 10.000 DM sowie ein Wohnhaus in … „gehören” – so der Erblasser – dem Beklagten bereits (Ziffer 4).
Ein weiteres Sparbuch soll die Klägerin erhalten, später soll es der Beklagte, bzw. der Enkel des Erblassers „erben” (Ziffer 5).
Ziffer 2 lautet:
„Die Eigentümerwohnung – … – behält meine Frau zur freien Verfügung. Nach dem Tod meiner Frau geht sie voll in den Besitz meines Sohnes über, der sie für die Enkel verwaltet.”
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Kopie des eigenschriftlichen Testaments vom 01.02.1990 Bezug genommen (Bl. 1, 2 Anlagenheft A).
Im Hinblick auf dieses Testament beantragte die Klägerin am 10.06.1994 die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, nach welchem sie und der Beklagte Erben zu je 1/2 geworden seien. Das zuständige Amtsgericht … interpretierte im Rahmen eines von ihm erteilten Vorbescheids die letztwillige Verfügung des Erblassers anders, und zwar dahin, daß die Klägerin zu 59/100, davon zu 18/100 al...