Leitsatz (amtlich)
1. § 23a Abs. 5 S. 1 EnWG schließt in der Beziehung zwischen Netzbetreiber und Netznutzern eine Rückabwicklung angeblich überhöhter Nutzungsentgelte betreffend den Zeitraum vom 29.10.2005 bis zur tatsächlichen Entgeltgenehmigung durch die Regulierungsbehörde aus.
2. Ist die genaue Ermittlung des billigen Netznutzungsentgelts mit einem Kostenaufwand verbunden, der zu der Höhe des geltend gemachten Rückforderungsanspruchs außer Verhältnis steht, kann unter Berücksichtigung der erstmals genehmigten Entgelte als Schätzgrundlage das billige Nutzungsentgelt gem. § 287 Abs. 2 ZPO geschätzt werden.
Normenkette
BGB § 315 Abs. 3, § 812 Abs. 1 S. 1; EnWG § 23a Abs. 5 S. 1; ZPO § 287 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 01.04.2009; Aktenzeichen 3/8 O 147/08) |
Tenor
Unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung der Klägerin wird das am 1.4.2009 verkündete Urteil der 8. Kammer für Handelssachen des LG Frankfurt/M. (Az. 3/8 O 147/08) wie folgt abgeändert:
Das billige Netznutzungsentgelt einschließlich der Mess- und Verrechnungsentgelte für die Nutzung des Stromversorgungsnetzes der Beklagten durch die ehemalige X -... GmbH & Co. KG zur Energieversorgung ihrer Kunden, die sie im Jahre 2005 im Netzgebiet der Beklagten angemeldet und versorgt hatte, einschließlich der Nutzung der vorgelagerten Netze wird für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis 28.10.2005 auf 10.787,42 EUR festgesetzt.
Die Beklagte wird verurteilt, an die X AG 1.903,66 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.12.2008 zu zahlen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 68 % und die Beklagte 32 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der anderen Partei durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Zu der Frage, ob § 23a Abs. 5 Satz 1 EnWG für die Zeit ab 29.10.2005 Rückforderungsansprüche von Netznutzern gegen Netzbetreiber ausschließt, wird die Revision zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Höhe der für das Jahr 2005 für die Nutzung des Elektrizitätsversorgungsnetzes der Beklagten zu entrichtenden Netznutzungsentgelte.
Die Klägerin ist im Jahr 2009 durch Firmenänderung aus der X -... GmbH & Co. KG (vormals X -... GmbH), einem Stromhandelsunternehmen, hervorgegangen. Das Stromlieferungsgeschäft ist - ebenfalls im Jahr 2009 - im Wege der Umwandlung durch Ausgliederung von der X -... GmbH & Co. KG auf die X AG übertragen worden. Seither betreibt die Klägerin den Prozess in Prozessstandschaft für die X AG.
Die Klägerin verlangt die Bestimmung eines billigen Netznutzungsentgelts für die Nutzung des Stromversorgungsnetzes der Beklagten im Jahr 2005 sowie die Rückzahlung der Differenz zwischen dem vom Gericht bestimmten billigen Entgelt und den tatsächlichen gezahlten Entgelten.
Die Klägerin hat unter dem Vorbehalt der energie- und kartellrechtlichen Überprüfung der Entgelte für das Jahr 2005 für die Durchleitung von Strom durch das Netz der Beklagten insgesamt 16.926,58 EUR (netto) gezahlt.
Sie ist davon ausgegangen, die von der Beklagten geforderten Netzentgelte seien um mehr als 30 % überhöht.
Das LG hat die Klage abgewiesen, weil der Klägerin kein Anspruch nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB auf Bestimmung des billigen Entgelts zustehe. Eine Billigkeitsprüfung des für 2005 gezahlten Entgelts scheide aus. Zwar sei § 315 Abs. 3 S. 2 BGB analog auch auf die ursprünglichen ab Vertragsschluss geschuldeten Entgelte anwendbar. Die Geltendmachung der Unbilligkeit dieser Entgelte sei jedoch infolge des langen Zeitablaufs präkludiert. Da die Entgelte für 2005 niedriger als die ursprünglichen Entgelte seien, könnten auch diese nicht mehr nach § 315 BGB überprüft werden.
Für die Zeit ab 29.10.2005 schließe § 23a Abs. 5 Satz 1 EnWG eine Rückabwicklung in der Beziehung zwischen Netzbetreibern und Netznutzern aus.
Soweit die Klägerin sich auf §§ 19 Abs. 4, 20 Abs. 1 GWB, 6 Abs. 1 S. 1 EnWG a.F. i.V.m. § 134 BGB stütze, stehe diese Klagebegründung mit ihrem Klageantrag nicht im Einklang. Eine Leistungsbestimmung durch das Gericht sei nicht Rechtsfolge einer kartellrechtlichen oder energierechtlichen Unwirksamkeit der vereinbarten Entgelte. Zudem habe die Klägerin auch eine Kartellrechtswidrigkeit der gezahlten Entgelte nicht schlüssig dargetan.
Gegen dieses Urteil, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe bezüglich des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung der Klägerin.
Sie macht geltend, entgegen der Ansicht des LG sei keine Vereinbarung über die Höhe des Netznutzungsentgelts getroffen worden. Ihr Recht auf gerichtliche Bestimmung des billigen Entgeltes könne nicht mit der Begründung abgelehnt werden, sie habe das Recht nicht innerhalb angemessener Fris...