Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die schriftliche Entscheidung des Versicherers gemäß § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Aktivlegitimation bei Besitzdienerschaft

2. Zu den Anforderungen an die schriftliche Entscheidung des Versicherers gemäß § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG

3. Die Untätigkeit des Geschädigten über einen längeren Zeitraum führt im Regelfall nicht zu einer Verwirkung der Geltendmachung des Anspruchs.

4. Bei offensichtlichen Schreibfehlern im Urteil besteht kein Rechtsschutzbedürfnis für die Einlegung der Berufung, wenn das Verfahren nach § 319 ZPO innerhalb der Rechtsmittelfrist durchgeführt werden kann.

 

Normenkette

BGB § 1006; VVG § 115; ZPO § 319

 

Verfahrensgang

LG Darmstadt (Urteil vom 15.08.2019; Aktenzeichen 9 O 69/17)

 

Tenor

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 15.08.2019 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt (Az.: 9 O 69/17) - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - teilweise abgeändert und neu gefasst:

Das Versäumnisurteil des Landgerichts Darmstadt vom 21.06.2018 (Az.: 9 O 69/17) bleibt mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass die Klage insoweit abgewiesen wird, als über den Zinssatz von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hinausgehend weitere Zinsen zugesprochen wurden.

Im Übrigen wird das Versäumnisurteil des Landgerichts Darmstadt vom 21.06.2018 (Az.: 9 O 69/17) aufgehoben und die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 6.070,72 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.05.2013 zu zahlen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten 82 % und die Klägerin 18 % zu tragen. Die Klägerin hat die durch den Erlass des Versäumnisurteils vom 21.06.2018 veranlassten Kosten zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 7.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Von der Abfassung eines Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO abgesehen. Der Streitwert liegt unter 20.000,00 EUR.

II. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache erweist sie sich als teilweise begründet.

Die Beklagten rügen mit ihrer Berufung zu Recht, dass bei der angefochtenen Entscheidung das Versäumnisurteil vom 21.06.2018 keine Berücksichtigung im Tenor gefunden hat. Das Versäumnisurteil war, wie aus dem obigen Tenor ersichtlich, überwiegend aufzuheben.

Die Berufung ist auch im Hinblick auf die Verurteilung zur Zahlung von Zinsen teilweise erfolgreich.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz. Gemäß § 288 Abs. 2 BGB beträgt bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, der Zinssatz 9 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz für Entgeltforderungen. Vorliegend wird ein Schadensersatzanspruch geltend gemacht. Hierbei handelt es sich nicht um eine Entgeltforderung (vgl. Palandt/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 79. Auflage 2020, § 286, Rz. 27).

Die Beklagten haben hinsichtlich der teilweisen Klagerücknahme die Einwilligung verweigert, weshalb die Klagerücknahme bezüglich der Zinsen wirkungslos ist.

Im Übrigen erweist sich die Berufung der Beklagten als unbegründet.

Der Senat stimmt dem Landgericht darin zur, dass die Klägerin aktivlegitimiert ist. Diesbezüglich wird auf die zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Wie bereits im Hinweisschreiben des Senatsvorsitzenden vom 18.03.2020 ausgeführt, greift vorliegend die Vermutung des § 1006 BGB schon deshalb ein, weil die Straßenbahn der Klägerin beim Betrieb beschädigt wurde. Es ist auch unzweifelhaft davon auszugehen, dass die Fahrerin der Straßenbahn Besitzdienerin der Klägerin war.

Nach § 855 BGB ist derjenige nicht als Besitzer anzusehen, der die tatsächliche Gewalt an einer Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis ausübt, vermöge dessen er den sich auf die Sache beziehenden Weisungen eines anderen Folge zu leisten hat (Besitzdiener). Voraussetzung ist hiernach, dass der Besitzdiener hinsichtlich der betreffenden Sache in einem äußerlich erkennbaren sozialen Abhängigkeitsverhältnis zum Besitzer steht, das dem Besitzherrn zumindest faktisch die Möglichkeit gibt, seinen Willen gegenüber dem Besitzerdiener durchzusetzen. Die Straßenbahnfahrerin ist den Weisungen der Klägerin, mithin der Besitzerin, unterworfen. Die Vermutung des § 1006 BGB greift nicht zugunsten der Straßenbahnfahrerin, sondern zugunsten der Klägerin. Die gesetzliche Vermutung entbindet den Besitzer im Grundsatz auch von der Darlegungslast, dass und auf welcher Grundlage er oder derjenige, von dem er sein Besitzrecht ableitet, mit dem Besitzerwerb Eigentum erworben hat. Der Senat ist der Auffassung, dass das bloße Bestreiten des Eigentums nicht ausreichend ist und mithin die Vermutung des § 1006 BGB nicht in Frage stell...

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