Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 2-14 O 300/02)

 

Gründe

I.

Der damals 42 Jahre alte Kläger befand sich vom April bis zum September 1999 bei der Beklagten in psychiatrisch-neurologischer Behandlung. Er wirft der Beklagten vor, seine Beschwerden nur unzureichend differenzial-diagnostisch abgeklärt und durch eine unterbliebene Blutuntersuchung seine Lues-Infektion III. Grades (Syphilis) übersehen zu haben. Statt dessen habe sie ihn ohne ausreichende Anhaltspunkte mit Antidepressiva behandelt. Wegen der Versäumnisse der Beklagten sei es im September 1999 zu einer schwerwiegenden Verschlechterung seines Krankheitsbildes gekommen, so dass der Kläger nun an einer nicht wiederherstellbaren demenziellen Erkrankung mit Persönlichkeitsveränderung leide.

Bei dem Kläger hat sich mittlerweile ein ausgeprägtes hirnorganisches Psychosyndrom mit deutlicher Auffassungs- und Konzentrationsschwäche sowie behindertem Sprechantrieb entwickelt. Er ist zu 60 % schwerbehindert. Seit dem Jahr 2002 leidet der Kläger mit zunehmender Frequenz und Intensität an epileptischen Anfällen. Der Kläger, der damals verheiratet war und eine sechsjährige Tochter hat, lebt nun allein und ist nicht mehr in der Lage, einer geregelten Berufstätigkeit sowie einem eigenständigen geordneten Leben nachzugehen. Er steht unter Betreuung. Wegen der weiteren Einzelheiten seines Gesundheitszustandes und seiner Lebensumstände wird auf die Arztbriefe des Klinikums der ... Universität vom 15. 3. 2001 und vom 23. 8. 2004 (Blatt 272 f. und 527 f. d. A. und auf den Bericht seines Betreuers Blatt 572 - 575 d. A.) verwiesen.

Nachdem bereits vorgerichtlich zwei Privatgutachten der Parteien zu der Frage eingeholt worden waren, ob der Beklagten ein Behandlungsfehler zur Last zu legen ist, hat das Landgericht ein weiteres gerichtliches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. SV1 von der Neurologischen Klinik in O1 eingeholt (Blatt 305/311 d. A.).

Durch das angefochtene Urteil, auf das gem. § 540 Abs. 1 ZPO zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes verwiesen wird, hat das Landgericht die Beklagte zu einem Schmerzensgeld in Höhe von 150.000,00 € verurteilt sowie festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm infolge der fehlerhaften Behandlung ab dem 16.4.1999 entstanden sind, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Beklagten falle ein grober Behandlungsfehler zur Last, weil sie trotz hinreichender Anhaltspunkte für eine demenzielle Erkrankung bei ansonsten unklarem Befundbild keine - hier dringend gebotene - weitere differenzial-diagnostische Abklärung des Krankheitsbildes vorgenommen habe. Sie habe sich vorschnell zu einer Behandlung mit Anti - Depressiva entschlossen und die erforderliche Lues-Serologie unterlassen. Unabhängig von der durch den groben Behandlungsfehler veränderten Beweislastverteilung müsse die Beklagte für die eingetretenen Schäden einstehen, weil eine frühere Befunderhebung mit großer Wahrscheinlichkeit die Lues-Erkrankung aufgefunden und zu einer antibiotischen Therapie geführt hätte. Hierdurch währen die schwerwiegenden hirnorganischen Beeinträchtigungen des Klägers vermieden worden.

Die Beklagte hat gegen das Urteil form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Sie verfolgt ihr erstinstanzliches Ziel der Klageabweisung weiter und rügt in erster Linie eine unzureichende Tatsachenfeststellung des Landgerichts und dessen Beweiswürdigung. Das Landgericht habe dem Gutachten des Sachverständigen Prof. SV2 nicht folgen dürfen, weil dessen Feststellungen unvollständig und widersprüchlich seien. So habe sich der gerichtliche Gutachter nur unzureichend mit dem Privatgutachten von Prof. Dr. SV3 von der Neurologischen Klinik O2 auseinandergesetzt (Bl. 206/215 d.A.). Dort wird der Beklagten bescheinigt, dass sie den Kläger umfassend psychopathologisch, klinisch-neurologisch, testpsychologisch und apparativ untersucht habe und keinen Anlass für eine Blutuntersuchung habe sehen müssen.

Die Lues-Erkrankung sei heutzutage ein äußerst seltenes Krankheitsbild, weswegen die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie eine Lues-Serologie zur differenzialdiagnostischen Behandlung der Demenz nur als fakultative Zusatzuntersuchung vorsähen. Unter diesen Umständen habe der Gutachter nicht zu einem Behandlungsfehler und schon gar nicht zu einem groben Behandlungsfehler kommen dürfen. Es sei im übrigen auch nicht geklärt, ob eine frühere Behandlung des Klägers seine Arbeitsfähigkeit erhalten hätte. Das ausgeurteilte Schmerzensgeld sei überhöht, weil die Beklagte für die Grunderkrankung des Klägers nicht verantwortlich sei.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Klage zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beruft sich insbesondere darauf, dass neben dem g...

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