Entscheidungsstichwort (Thema)
Hemmung der Verjährung des Gesamtschuldnerausgleichsanspruchs zwischen Kartellanten
Leitsatz (amtlich)
Die Verjährung eines Gesamtschuldnerausgleichsanspruchs, für den die Regelung §§ 33d Abs. 2, 33h Abs. 7 GWB n.F. nicht gilt, kann vor dem gesetzlichen Forderungsübergang gemäß § 426 Abs. 2 BGB nicht durch die Erhebung der Feststellungsklage eines Kartellanten gegen einen anderen Kartellanten gehemmt werden.
Normenkette
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 1, § 426 Abs. 2; GWB § 33d Abs. 2, § 33h Abs. 7; ZPO § 256
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 11.10.2021; Aktenzeichen 2-03 O 189/20) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 11.10.2021 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main (AZ. 2-03 O 189/20) abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerinnen zu tragen.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf EUR 400.000 festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerinnen wollen das Bestehen einer Gesamtschuldnerausgleichspflicht der Beklagten feststellen lassen.
Die Parteien sind auf dem Gebiet der Herstellung und des Vertriebs von Lebensmittelverpackungen tätig. Die Klägerinnen zu 1) und 2) stellen solche Verpackungen her, die Klägerin zu 3) ist deren Muttergesellschaft.
Mit Entscheidung vom 24.6.2015 (nachfolgend "Entscheidung"), die am selben Tag Gegenstand einer Pressemitteilung war, belegte die EU-Kommission acht Hersteller und zwei Vertreiber von Verpackungen für den Einzelhandel mit einer Geldbuße, weil sie jeweils an mindestens fünf separaten Kartellen beteiligt waren. Das Verfahren, das zu der Entscheidung führte, war am 4.6.2008 eingeleitet worden. Gegen die Entscheidung legten die Klägerinnen Rechtsmittel ein, das mit Urteil vom 22.10.2020 zurückgewiesen wurde (Anlage K2). Die Beklagte legte gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel ein.
Nach den Feststellungen der Entscheidung waren die Klägerinnen u.a. vom 30.6.2002 bis 29.10.2007 an dem X-Kartell (nachfolgend "X-Kartell") beteiligt. Die Beklagte war vom 13.6.2002 bis 12.3.2007 an diesem Kartell beteiligt. Allein im Hinblick auf dieses Kartell stehen vorliegend Regressansprüche zwischen den Parteien im Streit.
Die Klägerinnen forderten die Beklagte erfolglos auf, in Bezug auf Ansprüche auf Gesamtschuldnerausgleich wegen der Inanspruchnahme seitens Kartellgeschädigter auf die Erhebung der Einrede der Verjährung zu verzichten. Sie haben sodann gegen die Beklagte im Mai 2020 die hiesige Feststellungsklage erhoben.
Nach Klageerhebung im hiesigen Rechtsstreit wurden die hiesigen Klägerinnen zu 1) und zu 2) - neben weiteren Unternehmen - von potenziell Geschädigten des X-Kartells in Rechtsstreiten vor dem LG Köln (Klageerhebung dort: im Jahr 2020) und dem LG Hannover (Klageerhebung dort: im Jahr 2021) gesamtschuldnerisch auf Schadenersatz wegen ihrer Beteiligung am X-Kartell in Anspruch genommen. In dem Rechtsstreit vor dem LG Köln hat eine dortige weitere Beklagte sämtlichen hiesigen Klägerinnen am 22.4.2021 den Streit verkündet.
Die Klägerinnen haben die Auffassung vertreten, es bestehe ein Feststellungsinteresse für die begehrte Feststellung der Gesamtschuldnerausgleichspflicht der Beklagten. Es drohe die Gefahr, dass sie, die Klägerinnen, im Außenverhältnis den vollen, auch den auf die Beklagte im Innenverhältnis entfallenden Schaden gegenüber geschädigten Abnehmern tragen müssten, da potentielle Ansprüche geschädigter Abnehmer gegenüber den Klägerinnen später verjährten, da sie, die Klägerinnen, gegen die Entscheidung Rechtsmittel eingelegt hatten. Gleichzeitig bestehe die Gefahr, dass sie, die Klägerinnen, gegenüber der Beklagten wegen der Verjährung der Regressansprüche keinen Rückgriff im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs nehmen könnten.
Die Beklagten haben geltend gemacht, die Feststellungsklage sei unzulässig. Die Klägerinnen hätten kein gegenwärtiges Rechtsverhältnis dargelegt. Die Feststellung der Gesamtschuldnerschaft der hiesigen Parteien betreffe eine vorgelagerte Rechtsfrage für das Bestehen der Rechtsverhältnisse, hier der Gesamtschuldnerausgleichspflicht, und sei nicht feststellungsfähig. Im Hinblick auf § 426 Abs. 1 BGB sei dies offenkundig, da die Klägerinnen ansonsten bereits jetzt Freistellung verlangen könnten. Im Hinblick auf § 426 Abs. 2 BGB könne ebenfalls die Gesamtschuldnerausgleichspflicht nicht festgestellt werden, da die Klägerinnen die jeweiligen Ausgleichsansprüche erst erwerben würden, wenn sie die Forderungen der möglichen Kartellgeschädigten befriedigten. Die Klage sei auch unzulässig, da sie unter dem Vorbehalt eines später zu bestimmenden Mitverschuldens der anderen Gesamtschuldner ...