Verfahrensgang
LG Gießen (Urteil vom 31.08.2021; Aktenzeichen 2 O 545/20) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 31.08.2021, Az. 2 O 545/20, abgeändert wie folgt:
1. Es wird festgestellt, dass folgende Erhöhungen des Monatsbeitrags in der zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Kranken-/Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer ... unwirksam sind:
a) in den Tarifen für Vorname1 Nachname1
im Tarif KH 30,68 die Erhöhung zum 01.01.2019 um 0,42 EUR,
im Tarif SEB 80 die Erhöhung zum 01.01.2019 um 0,98 EUR,
b) in den Tarifen für Vorname2 Nachname1
im Tarif SEB 80 die Erhöhung zum 01.01.2019 um 0,81 EUR,
und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrags verpflichtet war.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 48,92 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 07.01.2021 zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft über alle Beitragsanpassungen zu erteilen, die die Beklagte in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag in den Jahren 2013, 2014, 2015 und 2016 zur Versicherungsnummer ... vorgenommen hat und hierzu geeignete Unterlagen zur Verfügung zu stellen, in denen mindestens die folgenden Angaben enthalten sind:
- die Höhe der Beitragserhöhungen für 2013, 2014, 2015 und 2016 unter Benennung der jeweiligen Tarife im Versicherungsverhältnis des Klägers,
- die dem Kläger zu diesem Zweck übermittelten Informationen in Form von Anschreiben und Nachträgen zum Versicherungsschein der Jahre 2013, 2014, 2015 und 2016,
- die dem Kläger zum Zweck der Beitragserhöhung übermittelten Begründungen sowie Beiblätter der Jahre 2013, 2014, 2015 und 2016.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe von Nutzungen verpflichtet ist, die sie bis 06.01.2021 aus dem Prämienanteil gezogen hat, den der Kläger auf die unter 1) aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat.
5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 220,27 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB ab 07.01.2021 für die außergerichtliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 60 % und die Beklagte 40 % zu tragen.
Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 10.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger wendet sich gegen die Abweisung seiner Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit von Beitragserhöhungen in der Kranken- und Pflegeversicherung bei der Beklagten.
Die Beklagte betreibt ein Versicherungsunternehmen. Der Kläger unterhält bei der Beklagten in der privaten Kranken und Pflegeversicherung (Versicherungsnummer: ...) unter anderem für sich die Tarife SEB 80 und KH 30,68 sowie für seine mitversicherte Ehefrau Vorname2 Nachname1 die Tarife AB 35 und SEB 80 unter Einbeziehung der durch die Beklagte gestellten Versicherungsbedingungen (Anlage BLD 5, Bl. 188 ff. d. A.).
Die Beklagte passte die zu zahlenden Beiträge mehrfach an. Jedenfalls erhöhte die Beklagte wegen gestiegener Leistungsausgaben den Beitrag im Tarif SEB 80 sowohl für den Kläger als auch für seine Ehefrau Vorname2 Nachname1 zum 01.01.2019, den Tarif KH 30,68 ebenfalls zum 01.01.2019 für den Kläger und für die Ehefrau des Klägers Vorname2 Nachname1 die Tarife SEB 80 und AB35 jeweils zum 01.01.2020. Dabei informierte die Beklagte den Kläger jeweils im November vor der Erhöhung - nach Zustimmung durch den Treuhänder - mit einem Mitteilungsschreiben über die Beitragserhöhung. Mit dem Mitteilungsschreiben versandte die Beklagte auch einen (Nachtrag zum) Versicherungsschein sowie eine Beilage mit allgemeinen Informationen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlagen BLD 8 und BLD 9, Bl. 214 ff. d. A. verwiesen.
Das Mitteilungsschreiben betreffend die Beitragserhöhungen zum 01.01.2019 in den Tarifen des Klägers KH 30,68 und SEB 80 sowie im Tarif der Ehefrau des Klägers SEB 80 hatte auszugsweise folgenden Inhalt (Anlage BLD 8, Bl. 204 d. A.):
"(...) Änderung ihres Versicherungsvertrags
(...), prüfen wir jährlich, ob die zugesagten Leistungen mit den kalkulierten Beiträgen finanziert werden können. Hierzu vergleichen wir für jeden Tarif - getrennt nach Alter und ggf. Geschlecht - die für alle Versicherten erbrachten und für die Zukunft erwarteten Versicherungsleistungen mit den zuvor kalkulierten Werten. Hierbei haben wir deutliche Abweichungen festgestellt, so dass die Beiträge der betroffenen Tarife entsprechend dem veränderten Bedarf angepasst werden müssen. (...)
Ihr monatlicher Gesamtbeitrag verändert sich von derzeit 379,78 EUR u...