Entscheidungsstichwort (Thema)
Diesel-Skandal: Keine Schadensersatzansprüche für im September 2016 gekauften gebrauchten VW Tiguan mit Motor EA288
Verfahrensgang
LG Kassel (Urteil vom 08.07.2022; Aktenzeichen 4 O 2432/20) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Die Berufung des Klägers gegen das am 8. Juli 2022 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kassel wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Das vorliegende Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Von einer Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i. V. m § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen, weil die Revision nicht zugelassen wurde und ein Rechtsmittel gegen das Urteil deshalb bei einer Beschwer der Parteien von jeweils nicht mehr als 20.000 Euro gemäß §§ 542 Abs. 1, 543 Abs. 1, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unstatthaft ist.
II. Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das angegriffene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 ZPO.
1. Der Kläger, der am 28. September 2016 von der beklagten Fahrzeugherstellerin einen gebrauchten Personenkraftwagen (Pkw) der Marke VW Modell Tiguan mit einem Motor EA 288 2.0 TDI Euro 6 gekauft und dieses Fahrzeug nach etwa vierjähriger Nutzung (und einer von ihm damit zurückgelegten Strecke von 62.989 km) mit einem in seiner Besitzzeit daran entstandenen Schaden an die Beklagte zurückveräußert hat, kann von dieser keinen Schadensersatz verlangen. Der Parteivortrag bietet keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, dass in den Motor des Fahrzeugs eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut wurde, über deren Vorhandensein die Beklagte die Typgenehmigungsbehörde sowie den Kläger getäuscht und hierdurch in sittenwidriger Weise geschädigt haben könnte.
a. Sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist ein Verhalten, das nach seinem - durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermittelnden - Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 13. Juli 2021, VI ZR 128/20, juris Rn. 11 ff., Beschluss vom 9. März 2021, VI ZR 889/20, juris Rn. 23 ff., 28 ff.; Beschluss vom 19. Januar 2021, ZIP 2021, S. 297 ff., juris Rn. 17 ff.). Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (vgl. ebenda). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, welche die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (ebenda).
Danach kann ein Autohersteller, der auf der Grundlage einer strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts systematisch, langjährig und in hohen Stückzahlen Fahrzeuge in Verkehr bringt, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten werden, sittenwidrig handeln. Damit ist die Gefahr verbunden, dass bei Aufdeckung der unzulässigen Abschalteinrichtung Betriebsbeschränkungen oder -untersagungen erfolgen. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der betroffenen Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 25. Mai 2020, VI ZR 252/19, juris Rn. 16).
b. Das Vorbringen des Klägers, der Motor des Fahrzeugs sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form eines sogenannten Thermofensters ausgestattet, begründet keine Haftung der Beklagten nach § 826 BGB.
aa. Zu dem so genannten Thermofenster hat das Oberlandesgericht München Folgendes ausgeführt (vgl. Beschluss vom 29. September 2020, MDR 2020, S. 1506 f., juris Rn. 24 ff.):
"...die Verwendung eines Thermofensters verstößt von vorneherein nicht gegen "das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden":
Experten sprechen von einem "Thermofenster", wenn die Abgasreinigung abhängig von der Außentemperatur gesteuert wird. Grund sind Kohlenwasserstoffe und Ruß im Abgas. Wenn die unverbrannten Rückstände in den kalten Rohrleitun...