Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung einer Gerichtsstandvereinbarung in Lebensversicherungsvertrag mit Auslandsbezug
Leitsatz (amtlich)
Eine Klausel in einem Lebensversicherungsvertrag mit Auslandsbezug, nach der dasjenige Gericht, in dessen Bezirk der Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz hat oder etabliert ist, zuständig ist, jegliche Streitigkeiten zu entscheiden, die sich möglicherweise aus diesem Vertrag ergeben, ist dahingehend auszulegen, dass nicht der Wohnsitz im Zeitpunkt der Begründung des Vertragsverhältnisses, sondern derjenige im Zeitpunkt der Klageerhebung maßgeblich ist
Normenkette
Brüssel Ia-VO Art. 25; VVG § 215
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 01.04.2021; Aktenzeichen 2-23 O 27/20) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 01.04.2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 23. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zur Vollstreckung gebrachten Betrages leistet.
Gründe
I. Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche auf Rückabwicklung nach Widerspruch gegen das Zustandekommen eines Vertrages über eine Lebensversicherung geltend.
Der Kläger beantragte im Jahr 2000 den Abschluss eines Vertrages über eine Lebensversicherung. Zu diesem Zeitpunkt hatte er seinen Wohnsitz in Frankfurt am Main. Im Zeitpunkt der Klageerhebung im Jahr 2019 befand sich der Wohnsitz des Klägers in Stadt1 in der Schweiz. Die Beklagte hat ihren Sitz im Vereinigten Königreich Großbritannien.
Die für die Lebensversicherung geltenden Policenbedingungen lauten unter Ziffer 10.4 wie folgt: "Hat der Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz in Deutschland, unterliegt der Vertrag deutschem Recht. Das Gericht, in dessen Bezirk der Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz hat oder etabliert ist, ist zuständig, jegliche Streitigkeiten zu entscheiden, die sich möglicherweise aus diesem Vertrag ergeben". Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Policenbedingungen Bezug genommen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich die Rüge der internationalen und örtlichen Zuständigkeit erhoben.
Das Landgericht Frankfurt am Main hat die Klage mit Urteil vom 01.04.2021 als unzulässig abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die internationale Zuständigkeit ergebe sich nicht aus Art. 11 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (im Weiteren: Brüssel Ia-VO), da der Kläger als Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz nicht in Frankfurt am Main, sondern in der Schweiz habe. Die internationale Zuständigkeit ergebe sich auch nicht aus Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO (Erfüllungsort) oder Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO (Verbrauchersachen), da Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO neben den besonderen Vorschriften für Versicherungssachen nach Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO keine Anwendung fänden. Auch Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO begründe keine internationale Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main; gleichermaßen ergebe sich diese nicht aus § 215 VVG
Die internationale und örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main ergebe sich auch nicht aus Ziffer 10.4 der Policenbedingungen. Dem Wortlaut lasse sich nicht entnehmen, dass der Wohnsitz "bei Vertragsschluss" entscheidend sein solle. Einen entsprechenden Zusatz gebe es gerade nicht, obwohl er ohne weiteres möglich gewesen wäre. Daher sei vom Wortlaut her davon auszugehen, dass die Klausel wie üblich und insoweit parallel zu den gesetzlichen Vorschriften auf den Zeitpunkt der Klageerhebung bzw. der letzten mündlichen Verhandlung abstelle. Diese Auslegung mache die Regelung auch nicht unklar, was sich insbesondere aus der Parallelität zu den gesetzlichen Vorschriften ergebe. Zudem handele es sich bei der von dem Kläger angestrebten Auslegung, dass auch am Gerichtsort des bei Vertragsschluss bestehenden Wohnsitzes geklagt werden könne, nicht um eine für ihn als Verbraucher günstigere Auslegung. Allein der Umstand, dass er vorliegend Klage an einem aktuell wohnortfernen Gericht erhoben habe, mache eine entsprechende Auslegung noch nicht grundsätzlich für ihn vorteilhaft. Vielmehr stehe diese Auslegung gerade dem mit den Regelungen des Art. 1 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO und § 215 VVG angestrebten Vorteil entgegen. Zwar unterliege nach Satz 1 von Ziffer 10.4 der Policenbedingungen der Vertrag deutschem Recht, wenn der Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz in Deutschland habe. Insoweit werde für die Anwendbarkeit deutschen Rechts erkennbar auf den Wohnsitz im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abgestellt. Dennoch ergebe sich hieraus nicht die ernsthafte Auslegungsmöglichkeit, dass auch Satz 2 der Ziffer 10.4 der Policenbedingungen auf den gleichen Zeitpunkt abstelle. Beide Sätze seien jeweils aus sich heraus zu i...