Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz in Bezug auf einen vom sog. Dieselskandal betroffenen PKW
Leitsatz (amtlich)
Maßgebender Zeitpunkt für den Eintritt der Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB ist allein der Zeitpunkt der Erhebung der Musterfeststellungsklage, nicht hingegen der Zeitpunkt der Anmeldung des Anspruchs im Klageregister durch den Verbraucher.
Normenkette
BGB § 199 Abs. 1, § 204 Abs. 1 Nr. 1a, §§ 249, 291, 826
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 18.12.2020; Aktenzeichen 2-28 O 215/20) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 18. Dezember 2020 verkündete Urteil der 28. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 17.588,90 zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank aus einem Betrag in Höhe von EUR 17.588,90 ab dem 29. Oktober 2020 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges VW Golf VI 1,6 Variant mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ... einschließlich der zugehörigen Fahrzeugschlüssel und Rückgabe der Zulassungsbescheinigungen Teil 1 und Teil 2 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Von einer Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil und von der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen wird gemäß den §§ 540 Abs. 1, 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II. Die zulässige Berufung hat - soweit die Klägerin die Klage noch verfolgt - in der Sache Erfolg.
1. Die Klägerin kann von der Beklagten gemäß § 826 BGB die Zahlung von EUR 17.588,90 nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verlangen.
a. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB auf Erstattung des für den Erwerb des im Tenor genannten Fahrzeugs verauslagten Kaufpreises abzüglich eines Vorteilsausgleichs für die von ihr gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung dieses Fahrzeugs. Die Beklagte hat der Klägerin in einer im Sinne des § 826 BGB gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt (vgl. zur Herstellerhaftung aus § 826 BGB im Rahmen des sog. Abgasskandals BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, NJW 2020, 1962, 1963 ff.).
Die Beklagte hat die Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug durch eine arglistige Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes - KBA - erschlichen. Dies steht wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Klägerin gleich (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, NJW 2020, 1962, 1965).
Die installierte Motorsteuerungssoftware enthielt mit der "Umschaltlogik" eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) 715/2007 (vgl. etwa BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, NJW 2020, 1962, 1963 f.).
Die Beklagte hat dem KBA bei der Erlangung der (jeweiligen) Typgenehmigungen durch das Verwenden der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgespiegelt, das Fahrzeug werde auf dem Prüfstand unter den Motorbedingungen betrieben, die auch im normalen Fahrbetrieb zum Einsatz kommen, und sie hat dadurch über das Einhalten der gesetzlichen Abgaswerte getäuscht, um die Typgenehmigung auf kostengünstigem Weg zu erhalten. Die Abschalteinrichtung wurde auf der Grundlage einer strategischen unternehmerischen Entscheidung über Jahre hinweg nicht nur im Unternehmen der Beklagten selbst, sondern auch bei mehreren Tochterunternehmen in verschiedenen Fahrzeugmodellen durch aktive, im Hinblick auf dieses Ergebnis gewollte präzise Programmierung der Motorsteuerungssoftware zur Beeinflussung der Abgasrückführung in die Motorsteuerung eingebaut, wobei bei einer Entdeckung der verwendeten Software gemäß § 5 Abs. 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hätte erfolgen können (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, NJW 2020, 1962, 1964 f.).
Die vorgenannte arglistige Täuschung gegenüber dem KBA steht wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Klägerin als Käuferin des im Tenor genannten Fahrzeugs gleich.
Es besteht ein erhebliches Ungleichgewicht im Hinblick auf das bei den Herstellern und den Käufern der Fahrzeuge vorhandene (technische) Wissen in Bezug auf die Funktionsweise der hergestellten und vertriebenen Fahrzeuge. Arglose Käufer der bemakelten Fahrzeuge mussten daher mangels eigener Möglichkeiten, das Einhalten der entsprechenden gesetzlichen Vorgaben auch nur nachvollziehen, geschweige denn kontrollieren zu können, darauf vertrauen, dass die gesetzlichen Vorgaben von der Beklagten eingehalten worden waren; gleichzeitig durften sie sich angesichts der die Beklagte nach den genannten Regelungen treffenden Pflichten und insbesondere im Hinblick auf das Typgenehmigungsverfahren darauf auch verlassen. Der Käufer eines Fahrzeugs set...