Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflichtteilsrecht
Leitsatz (redaktionell)
1. Ob es sich bei einer Schenkung um eine solche handelt, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Zu unterscheiden ist zwischen Anstandsschenkungen, bei denen es sich um kleinere Zuwendungen wie übliche Gelegenheitsgaben zu besonderen Anlässen entsprechend der gesellschaftlichen Verkehrssitte handelt, und Schenkungen, die auf einer sittlichen Pflicht beruhen. Einer sittlichen Pflicht in diesem Sinne kann auch die Schenkung eines Gegenstandes mit einem sehr erheblichen Wert entsprechen. Selbst eine den Nachlaß im wesentlichen erschöpfende Schenkung ist nicht ausgeschlossen.
2. Bei der zur Ausfüllung des Rechtsbegriffs „sittliche Pflicht” in diesem Sinne vorzunehmenden Wertung reicht es nicht aus, festzustellen, dass die Schenkung im Rahmen des sittlich noch zu Rechtfertigenden geblieben ist. Entscheidend ist vielmehr, ob die Vornahme der in Rede stehenden Schenkung nach den festgestellten Umständen in einer solchen Weise sittlich geboten war, dass umgekehrt das Unterlassen der Schenkung dem Erblasser als Verletzung der für ihn bestehenden sittlichen Pflicht zur Last zu legen wäre.
Normenkette
BGB §§ 2325, 2330
Verfahrensgang
LG Hanau (Urteil vom 14.08.1998; Aktenzeichen 1 O 1191/97) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Hanau vom 14. August 1998 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 13.000,00 DM abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Beschwer der Klägerin beträgt 172.419,00 DM.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt vom Beklagten Pflichtteilsergänzung und Herausgabe eines Goldarmbandes.
Die Klägerin ist die Tochter und testamentarisch eingesetzte Alleinerbin des am 09.10.1994 verstorbenen, zuletzt in der … wohnhaft gewesenen …. Der im Jahr 1957 geborene. Beklagte ist der Sohn der Klägerin aus erster Ehe. Sie hat außerdem noch drei weitere lebende Kinder aus zweiter Ehe. Die Klägerin heiratete nach im Jahr 1958 erfolgter Scheidung ihrer ersten Ehe im Jahr 1962 erneut. Sie lebte sodann bis 1967 in Köln und ging dann zusammen mit ihrem Ehemann in den Iran, wo sie bis 1986 lebte. Der Beklagte verbrachte ab 1960 seine Kindheit und Jugend im wesentlichen bei seinen. Großeltern, dem Erblasser und dessen Frau, in …. Auch nach dem Tod der Großmutter im Jahr 1983 unterstützte der Erblasser weiterhin den Beklagten, der zu dieser Zeit studierte. In der Zeit vom 15.10.1986 bis 31.03.1991 lebte der Beklagte mit seiner späteren Ehefrau in einer vom Erblasser angemieteten Werkswohnung der … in der … in …. Ab 01.04.1991 bis 30.09.1993 bewohnten sie dann das Obergeschoß des Anwesens …. Dieses Haus hatte der Erblasser aufgrund notarieller Urkunde vom 11.07.1986 (UR Nr. … des Notars Dr. …, Bl. 128 ff. d. A.) von seiner Lebensgefährtin, einer Frau … etwa sechs Wochen vor deren Tod geschenkt erhalten. Mit notarieller Urkunde vom 18.01.1998 (UR Nr. … des Notars … aus …, Bl. 23 ff. d.A.) übertrug der Erblasser, der von Frau … im übrigen auch als Erbe eingesetzt worden war, dieses Anwesen dem Beklagten unter Bestellung eines lebenslänglichen, unentgeltlichen Wohn- und Mitbenutzungsrechts. Bis zum Tod von Frau … hatte der Erblasser zusammen mit ihr, später dann ab 1991 zusammen mit dem Beklagten und dessen Ehefrau das Haus bewohnt. Nach Erkrankung des. Erblassers war der Beklagte für die kurze Zeit bis zu dessen Tod aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts Hanau vom 19.09.1994 als Betreuer eingesetzt. Im Rahmen des Betreuungsverfahrens erstellte der Beklagte für das Gericht eine Aufstellung (Bl. 279 ff. d.A.).
Der Beklagte hatte ab 1987 erstmals einen regelmäßigen Verdienst. Kontakte zwischen der Klägerin und der Beklagten, die bis dahin zeitweilig stattgefunden hatten, wurden 1986 abgebrochen. Nach dem Tode des Erblassers übergab der Beklagte der Klägerin diverse, in einem Protokoll vom 23.10.1994 (Bl. 55 d.A.) erfaßte Wertgegenstände und Schmuckstücke aus einem Schließfach bei der Raiffeisenbank …. Außerdem erhielt die Klägerin entsprechend weiterer Aufstellungen (Bl. 49, 54 d.A.) verschiedene, weitere Nachlaßwerte.
Das Hausgrundstück … hatte nach einem Gutachten des Gutachterausschusses (Bl. 68, 83 d.A.) zum 18.01.1988 ohne Berücksichtigung des eingetragenen Wohnrechtes einen Verkehrswert von 320 TDM und zum 09.10.1994 einen solchen von 560 TDM. Der Wert des übrigen Nachlasses ist zwischen den Parteien streitig.
Die Klägerin ist der Auffassung gewesen, nach Abzug von Nachlaßverbindlichkeiten habe der Nachlaß einen Wert von 129.971,25 DM gehabt. Aus der Übertragung des Hausgrundstücks … hat sie sich einen Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 142.134,00 DM errechnet. Aus der Übernahme von Mietzahlungen und Renov...