Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur "Nichtbeförderung" i.S.v. Art. 4 Abs. 3, Art. 7 der Verordnung (EG) 261/2004, falls das Gepäckstück des Reisenden nicht zum Weiterflug bereitstand
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob ein Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung gem. Art. 4 Abs. 3 i.V.m. Art. 7 Verordnung (EG) 261/2004 voraussetzt, dass es dem Reisenden, auch wenn er bereits vor dem Zubringerflug die Boardingkarten für den Weiterflug erhalten hat, möglich gewesen wäre, sich mit seinem Gepäckstück spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugszeit des Weiterfluges zur Abfertigung einzufinden.
Normenkette
EGV 261/2004 Art. 4 Abs. 3, Art. 7
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 11.11.2010; Aktenzeichen 2/20 O 405/09) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 11.11.2010 verkündete Urteil des LG Frankfurt/M. - 2/20 O 405/09 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die beklagte A-gesellschaft aus eigenem und aus abgetretenem Recht seiner acht Mitreisenden auf eine Ausgleichszahlung i.H.v. jeweils 600 EUR nach Art. 4 Abs. 3, Art. 7 der Verordnung (EG) 261/2004 (im Folgenden: Verordnung) sowie auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger und seine Mitreisenden, die ihm ihre Ansprüche abtraten, buchten über das Reisebüro B GmbH & Co. KG eine Pauschalreise ab O1 via O2 nach O3; die Flüge sollte die Beklagte durchführen. Den Reisenden wurden bereits in O1 die Bordkarten für den Anschlussflug von O2 nach O3 ausgehändigt. Die Ankunft des Zubringerfluges ... in O2 war am ... 2009 für 11.15 Uhr vorgesehen, erfolgte aber erst um 11.35 Uhr. Die Abflugzeit des Weiterfluges ... war 12.05 Uhr; die Ankunft war für 17.10 Uhr vorgesehen. Obwohl die Reisenden noch innerhalb der Boardingtime am Gate erschienen, wurde ihnen die Mitnahme mit der Begründung verweigert, dass ein "Security"-Problem vorliege, weil das Gepäck noch nicht von dem Flugzeug aus O1 in das Flugzeug nach O3 verladen worden sei. Erst am Folgetag gegen 14.00 Uhr konnten die Reisenden mit C, einem Tochterunternehmen der Beklagten, nach O3 weiterfliegen.
Gegenstand der Klage sind:
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Hotelkosten für die Übernachtung in O2 |
1.338,24 EUR |
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Verpflegungskosten |
112,86 EUR |
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Getränkekosten während des Weiterfluges, die während des verpassten Fluges nicht angefallen wären |
18 EUR |
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Kosten für Hygieneartikel und Wäsche angesichts der kofferlosen Übernachtung |
95,03 EUR |
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9 × 600 EUR Ausgleichsansprüche wegen Nichtbeförderung gem. Art. 4 Abs. 3 i.V.m. Art. 7 Abs. 1c der Verordnung |
5.400 EUR |
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 72, 73 d.A.) Bezug genommen.
Das LG hat die auf Zahlung i.H.v. 6.964,13 EUR nebst Zinsen sowie Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten i.H.v. 603,93 EUR gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das LG im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte mit der Nichtbeförderung der Reisenden keine Pflichtverletzung begangen habe, weil diese zu spät zur Abfertigung erschienen seien; auch wenn die Reisenden ihre Flugtickets und Boardingpässe bereits in O1 auch für den Weiterflug von O2 erhalten hätten, sei entscheidend, dass ihr Gepäck noch nicht zur Weiterbeförderung bereit gewesen, aus Sicherheitsgründen aber eine getrennte Beförderung von Passagier und Gepäck nicht zugelassen sei. Gegen eine Überbuchung spreche auch, dass auf dem Weiterflug noch zehn Plätze frei geblieben seien. Überdies fehle es an der Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs, dass sich der Fluggast 45 Minuten vor dem planmäßigen Abflug zur Abfertigung eingefunden habe, weil zwischen der vorgesehen Ankunft des Zubringerfluges und dem Weiterflug von Anfang an nur 50 Minuten eingeplant waren.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 73, 74 d.A.) verwiesen.
Gegen das ihm am 15.11.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einer am 15.12.2010 bei Gericht eingegangenen Schrift Berufung eingelegt, die nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit einer am 15.2.2011 bei Gericht eingegangenen Schrift begründet worden ist.
Der Kläger rügt unzutreffende Tatsachenfeststellungen und Rechtsfehler.
Zum Einen ist er der Ansicht, das LG habe verkannt, dass kein Sicherheitsrisiko für die Beförderung des Klägers und seiner Mitreisenden bestanden habe, da die separate Beförderung von Passagieren und Koffern möglich sei. Zum Anderen ist der Kläger der Meinung, dass die Beklagte zur Entlastung des von ihm erhobenen Vorwurfs der Überbuchung hätte vortragen müssen, dass die zehn freien Sitzplätze für ihn und seine ...