Entscheidungsstichwort (Thema)
Grenze der Berücksichtigung gerichtsbekannter Tatsachen
Leitsatz (amtlich)
Der Umstand, dass eine Tatsache gerichtsbekannt ist, ersetzt regelmäßig nicht den entsprechenden Vortrag einer Partei (hier zur angeblichen Täuschung über die Klagebefugnis nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG), sondern nur die Beweisbedürftigkeit. Gerichtskundige Tatsachen dürften nur bei Bezug zu entsprechendem substantiiertem Sachvortrag eingeführt werden.
Normenkette
UWG § 8 Abs. 3 Nr. 2; ZPO § 291
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Urteil vom 17.06.2021; Aktenzeichen 15 O 53/20) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Auf die Berufung des Klägers wird das am 17.6.2021 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Darmstadt teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 28.11.2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 3/4 und die Beklagte 1/4 zu tragen.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Verwirkung einer Vertragsstrafe.
Der Kläger ist ein Interessenverband von Online-Unternehmern. Die Beklagte bietet auf der Handelsplattform Amazon Waren, insbesondere Lebens- und Genussmittel, an.
Der Kläger mahnte die Beklagte wegen der Verletzung von Informationspflichten ab. Die Beklagte gab daraufhin unter dem 10.8.2020 eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, die der Kläger mit Schreiben vom 12.8.2020 annahm (Anlage K2).
Am 26.8.2020 erlangte der Kläger Kenntnis davon, dass die Beklagte Angebote veröffentlichte, bei denen die Verpflichtungen aus der Unterlassungserklärung nicht beachtet wurden. Die Angebote beinhalten Verstöße gegen die Grundpreisangabe, die Verpflichtung zur Angabe des Handelsregistergerichts und zur Information über die Speicherung des Vertragstextes nach Vertragsschluss. Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 26.8.2020 zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 4.000 EUR auf.
Im Übrigen wird von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen gemäß
§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klage sei nicht begründet, weil kein wirksamer Unterlassungsvertrag zustande gekommen sei. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 17.6.2021 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.9.2020 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
II. Die zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.
1. Die Klage ist zulässig. Die Beklagte hat keine ausreichenden Umstände dargelegt, die im Streitfall für die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung durch den Kläger sprechen.
a) Nach § 8 c UWG ist die Geltendmachung der in § 8 Abs. 1 UWG bezeichneten Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist. Eine missbräuchliche Geltendmachung ist nach § 8 c Abs. 2 Nr. 1 UWG im Zweifel anzunehmen, wenn die Geltendmachung der Ansprüche vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder von Kosten der Rechtsverfolgung oder auf die Zahlung einer Vertragsstrafe entstehen zu lassen. Generell ist von einem Missbrauch auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele sind. Diese müssen nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein. Es reicht aus, dass die sachfremden Ziele überwiegen. Die Annahme eines derartigen Rechtsmissbrauchs erfordert eine Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände.
b) Die Beklagte hat zu den Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs nur pauschal vorgetragen. Zwar ist diese Prozessvoraussetzung von Amts wegen zu beachten (vgl. BGH GRUR 2006, 243 Rn. 15 - MEGA SALE). Deshalb muss der als Verletzte in Anspruch Genommene den Rechtsmissbrauch nicht ausdrücklich rügen; er muss aber dem Gericht die notwendigen Grundlagen für die Amtsprüfung verschaffen. Die Beweislast obliegt - im Freibeweis - der Beklagten, die die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Missbrauchs darzulegen hat (OLG Stuttgart, Urteil vom 10.12.2009 - 2 U 51/09, Rn. 11, juris).
aa) Die Beklagte hat vorgetragen, nach Auffassung des OLG Rostock sei das Abmahnverhalten des Klägers missbräuchlich, da er bei Abmahnungen planmäßig seine eigenen Mitglieder verschone. Grundsätzlich kann sich ein Indiz dafür, dass die Rechtsverfolgung überwiegend auf sachfremden Gründe beruht, daraus ergeben, dass der Verband unlauteren Wettbewerb durch gleichartige Verletzungshandlungen der eigenen Mitglieder planmäßig duldet (vgl. BGH, Urteil vom 12.12.2019 - I ZR 21/19, Rn. 58 - Culatello di Parma; BGH, Urteil vom 23.1.1997 - I ZR 29/94, Rn. 34 - Produktwerbung). Anzunehmen ist das ...