Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung von Glücksspieleinsätzen
Verfahrensgang
LG Limburg a.d. Lahn (Urteil vom 29.07.2022; Aktenzeichen 4 O 373/21) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom 29.07.2022, Az. 4 O 373/21, wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Rückforderung von verlorenen Glücksspieleinsätzen im Online-Glücksspiel.
Die Beklagte ist ein führender Online-Glücksspielanbieter mit Sitz in Malta. Sie betreibt u. a. die Casino-Seite "X". Der Kläger spielte im Zeitraum 21.09.2018 bis 31.01.2020 von seiner Wohnung in Stadt1 aus, in deren Nähe er einer Vollzeitbeschäftigung nachgeht, auf der Online-Casino-Seite X. In der Differenz zwischen Einsätzen und Gewinnen verlor der Kläger hierbei Spieleinsätze in Höhe von insgesamt 12.302,00 Euro.
Im vorgenannten Zeitraum verfügte die Beklagte über eine Glücksspiellizenz der Glücksspielbehörde von Malta Nr. ..., nicht aber über eine Glücksspiellizenz für das Bundesland Hessen. Über eine nationale Lizenz für den Betrieb von Online-Glücksspielen verfügt die Beklagte auch weiterhin nicht. Die Internetseite der Beklagten, auf welcher der Kläger spielte, war in deutscher Sprache gestaltet.
Mit seiner Klage hat der Kläger erstinstanzlich die Rückzahlung der verlorenen Spieleinsätze in Höhe von 12.302,00 Euro nebst Zinsen ab Rechtshängigkeit verlangt.
Der Kläger hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, die Spielverträge seien wegen des Verbots der Veranstaltung und Vermittlung öffentlicher Glücksspiele im Internet nach § 4 Abs. 4 des Glücksspielstaatsvertrages in der Fassung von 2012 (im Folgenden: GlüStV 2011) nichtig. Weiter hat er behauptet, er sei spielsüchtig. Ihm sei im Zeitpunkt seiner Einsätze nicht bewusst gewesen, dass das Angebot der Beklagten illegal gewesen sei und Online-Glücksspiele mit wenigen Ausnahmen in Deutschland verboten gewesen seien. Er habe die von der Beklagten aufgeführten Medienbeiträge nicht zur Kenntnis genommen. Zudem sei die Medienberichterstattung hinsichtlich der Illegalität von Online-Glücksspiel auch "alles andere als eindeutig" gewesen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt, da der Kläger seine Verbrauchereigenschaft nicht dargelegt habe.
Zudem hat die Beklagte die Ansicht vertreten, § 4 Abs. 4 GlüStV 2011 sei unter dem Aspekt des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts wegen Verstoßes gegen die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV nicht anwendbar. Dies sei jedenfalls auf der Grundlage aktueller Entwicklungen seit dem Inkrafttreten des GlüStV 2011 zu berücksichtigen. Die Cheffinnen und Chefs der Staatskanzleien hätten sich mit Umlaufbeschluss vom 08.09.2020 verständigt, das aufgrund des neuen Glücksspielstaatsvertrags ab 01.07.2021 geltende Recht bereits ab dem 15.10.2020 zur Grundlage des Vollzugs zu machen, indem das Online-Casino-Angebot an die Regulierungen des künftigen Staatsvertrages anzupassen sei. Die Neuregelung im Glücksspielstaatsvertrag 2021 habe bestätigt, dass das vorherige Internetverbot nicht geeignet gewesen sei, die mit dem GlüStV 2011 verfolgte Kanalisierungsabsicht des Gesetzgebers zu verwirklichen. Das Verbot sei daher unverhältnismäßig gewesen.
Weiter hat die Beklagte behauptet, dem Kläger sei klar gewesen, dass seine Teilnahme am Glücksspiel verboten sein könnte und dass er diese Frage vor der Teilnahme selbst hätte klären müssen; er hätte dies einfach durch Erkundigungen bei den zuständigen Stellen oder Internetrecherchen bewerkstelligen können. Der glücksspielerfahrene Kläger hätte über Hinweise wie etwa denjenigen in der Fernsehwerbung, dass bestimmte Angebote nur in Schleswig-Holstein gelten, "stolpern" müssen. Über den gesamten klagegegenständlichen Zeitraum hinweg habe es darüber hinaus zahlreiche Medienberichte zur Frage der Legalität dieser Angebote gegeben, die auch der Kläger zur Kenntnis genommen habe. Hierzu hat die Beklagte mit Anlagen B3 (Bl. 143 f. d. A.) und B23 (Bl. 440 f. d. A.) Aufstellungen von frei im Internet abrufbarer Berichterstattung vorgelegt. Weiter hat die Beklagte behauptet, aufgrund der Algorithmen des Internets müssten bei dem Kläger, der regelmäßig Glücksspielseiten aufgerufen habe, in Newsfeeds, Werbung etc. glücksspielbezogene Themen platziert worden sein.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, den Kläger treffe eine sekundäre Beweislast und sein pauschaler Vortrag, er habe die Berichterstattung nicht wahrgenommen, sei nicht geeignet, dieser Beweislast zu genügen.
Schließlich hat die Beklagte beha...