Leitsatz (amtlich)

Eine Klageänderung im zweiten Rechtszug ist insbesondere dann unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zur Vermeidung eines weiteren Prozesses als sachdienlich anzusehen, wenn sie Folge eines Hinweises des Berufungsgerichts auf seine von der Auslegung der Klägerin und des erstinstanzlichen Gerichts abweichende Auslegung einer Vereinbarung ist (hier über ein Stundenhonorar, mindestens aber eine Vergütung nach dem RVG).

Als Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit im Rahmen von Verhandlungen über eine Abfindung eines (als wiederkehrende Leistung geltend gemachten) nachehelichen Unterhaltsanspruchs ist der sich aus § 51 Abs. 1 Satz 1 FamGKG ergebende Jahreswert des geltend gemachten Unterhalts in Ansatz zu bringen und nicht der Wert der im Rahmen der Verhandlungen geforderten Abfindung (entgegen OLG Frankfurt am Main, FamRZ 1980, 144).

 

Normenkette

FamGKG § 51 Abs. 1 S. 1; RVG § 15 Abs. 3, § 23 Abs. 1 S. 3; ZPO §§ 263, 533

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 2-19 O 18/19)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 11.595,64 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 16.3.2020 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin wird verurteilt, an den Beklagten 1.786,90 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 26.3.2019 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Die Kosten des ersten Rechtszugs werden der Klägerin zu vier Zehnteln und dem Beklagten zu sechs Zehnteln auferlegt.

Die Kosten des zweiten Rechtszugs werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung. Beide Parteien dürfen die Vollstreckung durch die jeweils andere Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, sofern nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Streitwert wird für den zweiten Rechtszug festgesetzt auf 19.893,10 Euro.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche der Klägerin aus dem zwischen ihnen bestehenden anwaltlichen Mandatsverhältnis.

Der Beklagte beauftragte die Klägerin im August 2014 mit seiner außergerichtlichen Vertretung im Zusammenhang mit der Vorbereitung einer Regelung der Folgen einer Trennung und Scheidung von seiner Ehefrau. Der Beklagte lebte zu diesem Zeitpunkt noch gemeinsam mit seiner Ehefrau und den beiden gemeinsamen minderjährigen Kindern in dem ihm gehörenden Haus in K.

Die Parteien trafen am 17.10.2014 eine von der Klägerin vorformulierte und für eine Vielzahl von Mandatsverhältnissen verwendete Vergütungsvereinbarung, Bl. 14 ff. der Akte, deren Ziffer 1 lautete:

"Für die außergerichtliche Tätigkeit der Rechtsanwältin im Zusammenhang mit der Erstellung einer Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung vor allem für die Entgegennahme und das Beschaffen von Informationen, Bearbeitung von Akten und Unterlagen, für Besprechungen, sei es in der Kanzlei der Rechtsanwältin oder außerhalb, für die Wahrnehmung von Terminen bei Behörden und Gerichten, für die Fertigung des Schriftverkehrs und von Vertragsentwürfen, Abschluss von Vergleichen und dergleichen, wird - abweichend von der Berechnung der Vergütung nach dem Gegenstandswert - ein Zeit-Stundenhonorar vereinbart in Höhe von EUR 300 / (dreihundert Euro) pro Stunde zuzüglich gesetzl. Umsatzsteuer (zzt. 19%), Abgerechnet wird für jede angefangenen 15 Minuten..."

Ziffer 3 der Vereinbarung lautete:

"a) Dem Auftraggeber ist bekannt, dass die hier vereinbarte Vergütung von den gesetzlichen Bestimmungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) zulässigerweise abweicht. Er ist ausdrücklich damit einverstanden.

b) Die gesetzliche Vergütung nach dem RVG ist der Rechtsanwältin jedoch - zeitunabhängig - als Mindest-Honorar geschuldet."

Am 8.9.2015 schlossen die Parteien auf Wunsch des Beklagten erneut eine Vergütungsvereinbarung, die sich von der am 17.10.2014 geschlossenen Vergütungsvereinbarung nur insoweit unterschied, als Ziffer 3 b) nun lautete:

"b) Die gesetzliche Vergütung nach dem RVG ist der Rechtsanwältin bei Tätigwerden im Gerichtsverfahren jedoch - zeitunabhängig - als Mindest-Honorar geschuldet."

Außerdem wurde handschriftlich eine zusätzliche Ziffer 10 eingefügt, die wie folgt lautete:

"Mit Abschluss dieser Vergütungsvereinbarung wird diejenige vom 17.10.2014 unwirksam."

Auf Grund des ihr erteilten Auftrags führte die Klägerin umfangreiche Korrespondenz mit den Bevollmächtigten der getrennt lebenden Ehefrau des Beklagten. Die Korrespondenz bezog sich auf die Regelung des Umgangs, des Kindesunterhalts, des Ehegattenunterhalts, des Zugewinnausgleichs, der vorläufigen und endgültigen Auseinandersetzung der Haushaltsgegenstände und auf den beabsichtigten Abschluss einer umfassenden Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung. Der zeitliche Aufwand der Klägerin belief sic...

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