Leitsatz (amtlich)
Nach derzeitigem Forschungsstand ist davon auszugehen, dass Mobilfunk-Basisstationen, die die Grenzwerte der 26. BlmschV einhalten, die Nachbarn nur unwesentlich beeinträchtigen. Vorbeugende Unterlassungsklagen sind ohne Beweisaufnahme abzuweisen (Anschluss an BGH v. 13.2.2004 - V ZR 217/03, BGHReport 2004, 831 = MDR 2004, 742 = NJW 2004, 1317 ff.).
Normenkette
BGB §§ 823, 906, 1004
Verfahrensgang
LG Hanau (Urteil vom 28.01.2004; Aktenzeichen 4 O 14/02) |
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das am 28.1.2004 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Hanau wird zurückgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Kläger nehmen die Beklagten auf Unterlassung des Betriebs einer Mobilfunk-Basisstation auf einem ihnen benachbarten Kirchturm in Anspruch. Sie stützen ihren vermeintlichen Unterlassungsanspruch nicht auf konkret erlittene gesundheitliche Einbußen - solche behaupten sie nicht - oder auf eine besondere Gefährlichkeit gerade der streitgegenständlichen Sendeanlage, die unstreitig die Grenzwerte der 26. BlmschV einhält, sondern darauf, dass die gesundheitlichen Auswirkungen des Mobilfunks im Allgemeinen bis heute wissenschaftlich nicht geklärt seien. Angesichts dessen dürfe die Bevölkerung keiner unnötigen Strahlenbelastung ausgesetzt werden; vielmehr seien vorsorglich erheblich niedrigere Grenzwerte festzusetzen und die Sendeanlagen aus Wohngebieten zu verbannen. Eine derartige gesundheitliche Vorsorge sei auch Aufgabe der Gerichte.
Zur Darstellung der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.
Das LG hat die Klage abgewiesen.
Die Kläger verfolgen mit ihrer Berufung die erstinstanzlichen Anträge weiter. Sie rügen im Wesentlichen Folgendes:
- Die Grenzwerte der 26. BlmschV berücksichtigten nur thermische Effekte der Mobilfunkstrahlung; die Strahlenschutzkommission könne die Verordnung nicht authentisch anders interpretieren. Hieraus folge, dass die Verordnung zu nicht thermischen Effekten keine Grenzwerte festlege. Die landgerichtliche Annahme, thermische Effekte träten bei geringeren Feldstärken ein als nachgewiesene athermische Reaktionen, sei falsch, wie die Kläger bereits erstinstanzlich unter Beweisantritt vorgetragen hätten.
Das LG habe die von den Klägern zitierten Wissenschaftler zu Unrecht insgesamt abqualifiziert. Die im klägerischen Schriftsatz vom 3.11.2003 (Bl. 757 ff. d.A.) angeführten Ergebnisse des "Reflex"-Projektes oder der "TNO-Studie" beruhten sehr wohl auf Forschungen. Die "Reflex"-Studie habe genschädigende Wirkungen elektromagnetischer Felder nachgewiesen. Auf S. 18 des Schriftsatzes vom 3.11.2003 hätten sie auf eine Gesundheitsbefragung nahe Murcia sowie auf die "TNO-Studie" 9/2003 hingewiesen, wonach UMTS-Signale Übelkeit und Kopfschmerzen verursachen könnten. Ein theoretisches Risiko habe auch der schwedische Physiker A. in einer neueren Forschungsarbeit angenommen und Störungen der Durchblutung von Kapillargefäßen durch Mobilfunkstrahlen vermutet. Die kürzlich veröffentlichte "Naila-Studie" spreche für eine deutliche Steigerung des Krebsrisikos im Nahbereich um Mobilfunk-Basisstationen.
Die landgerichtliche Billigung der in der 26. BlmschV enthaltenen Grenzwerte vernachlässige den Vorsorgegedanken, der etwa in den (niedrigeren) Empfehlungen des B-Institutes zum Ausdruck komme. Jedenfalls könne das Unaufklärbarkeitsrisiko hinsichtlich Gesundheitsgefährdungen nach §§ 903, 1004, 906 BGB nicht dem Nachbarn aufgebürdet werden, zumal eine weniger belastende Alternative - die Errichtung von Sendeanlagen im Außenbereich - möglich, wenn auch vielleicht teurer sei. In diesem Zusammenhang kritisieren die Kläger harsch diverse "Industrie-Gutachter" und ergänzen ihren Vortrag zu vermeintlich unterdrückten Forschungsergebnissen.
Das LG habe die Beweislast falsch beurteilt. Nach der Rechtsprechung des BGH hätten die Kläger nicht die volle Beweislast für die Unwesentlichkeit. Der Tatrichter werde durch § 906 Abs. 1 S. 2 BGB nicht von seiner eigenen Ermittlungsaufgabe entbunden. Das vorliegende wissenschaftliche Material, mit dem sich das Gericht gem. § 286 ZPO ausführlich auseinander zu setzen habe, begründe jedenfalls - ausreichende - Zweifel an der Indizwirkung der Grenzwerte der Verordnung, einen - unter Berücksichtigung des Vorsorgegedankens ausreichenden - wissenschaftlichen Verdacht.
Das LG überspanne die Darlegungsanforderungen. Es gebe viele Erfahrungsberichte zu Krankheiten infolge Inbetriebnahme von Mobilfunkstationen.
Das LG habe zu Unrecht kein Sachverständigengutachten eingeholt. Das Beweisangebot sei nicht völlig ungeeignet. Das LG...