Entscheidungsstichwort (Thema)
Geldentschädigung bei Ankündigung "erheblicher Schmerzen" durch Polizeibeamte - Fall Magnus G.
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Klagegrund bei der Geltendmachung einer Geldforderung wegen Verletzung der Menschenwürde
2. Zur Strafbarkeit der Androhung "erheblicher Schmerzen" durch Polizeibeamte, um den Aufenthaltsort eines entführten Kindes in Erfahrung zu bringen
3. Zur Bindungswirkung eines Urteils des EGMR für die innerstaatlichen Gerichte bei Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK
Normenkette
BGB §§ 253, 839; MRK Art. 3; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 34, 104; StGB § 240 Abs. 1, § 357 Abs. 1; StPO § 136a; ZPO § 308
Verfahrensgang
Tenor
Die Berufung des beklagten Landes gegen das am 4.8.2011 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Frankfurt/M. (2-04 O 521/05) wird zurückgewiesen.
Das beklagte Land hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Das vorliegende Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt das beklagte Land auf Zahlung und Feststellung in Anspruch mit dem Vorwurf, im Dienst des beklagten Landes stehende Polizeibeamte hätten im Rahmen eines gegen ihn geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens seine Rechte, insbesondere seine Menschenwürde, verletzt, und ihm hierdurch weitere Schäden zugefügt.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Das LG hat dem Zahlungsantrag des Klägers i.H.v. 3.000 EUR stattgegeben und seine Klage im Übrigen abgewiesen: Der Kläger könne zwar kein Schmerzensgeld i.S.d. § 253 Abs. 2 BGB verlangen, weil er eine Verursachung seiner psychischen Probleme durch Ereignisse bei seiner Festnahme oder der polizeilichen Vernehmung am 1.10.2002 nicht habe nachweisen können; auch eine Reihe vom Kläger behaupteter Umstände dieser Vernehmung seien nicht erwiesen, insbesondere körperliche Übergriffe des vernehmenden Polizeibeamten. Jedoch stehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass dem Kläger bei der Vernehmung auf eine - mit der Behördenleitung abgestimmte - Anweisung des damaligen Polizei ... A von Kriminalhauptkommissar B die Zufügung erheblicher Schmerzen angekündigt worden sei, falls er den Aufenthaltsort des entführten Kindes weiterhin verschweige, und er hierauf das Versteck des getöteten Opfers alsbald preisgegeben habe. Hierdurch hätten die Polizeibeamten gegen die Menschenwürdegarantie der Art. 1 Abs. 1, 104 Abs. 1 Satz 2 GG sowie gegen Art. 3 EMRK verstoßen, sich strafbar gemacht und ihre Amtspflichten schuldhaft verletzt.
Ihr Handeln sei weder durch eine polizeirechtliche Ermächtigungsgrundlage noch durch allgemeine strafrechtliche Rechtfertigungsgründe legitimiert gewesen und auch nicht durch besondere Gründe entschuldigt. Bei Anwendung der gem. § 276 BGB gebotenen Sorgfalt hätten sie erkennen können, dass die gewählte Vernehmungsmethode unerlaubt und amtspflichtwidrig sei. Wegen dieser Amtspflichtverletzung sei dem Kläger nach dem insoweit bindenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 1.6.2010 (22978/05) eine Entschädigung in Geld zu gewähren.
Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falles, insbesondere der achtenswerten Motive der beiden Polizeibeamten und dem Umstand, dass ihr Handeln bereits durch ein gegen sie ergangenes Strafurteil und weitere Gerichtsentscheidungen deutlich missbilligt worden sei, erscheine eine Entschädigung von 3.000 EUR angemessen.
Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil vom 4.8.2011 verwiesen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des beklagten Landes, mit der es eine vollständige Klageabweisung erstrebt. Es rügt eine fehlerhafte Rechtsanwendung und unzutreffende Tatsachenfeststellungen des LG.
Dieses habe gegen § 308 Abs. 1 ZPO verstoßen, indem es dem Kläger anstelle des mit der Klage geltend gemachten Schmerzensgeldes eine Geldentschädigung gem. Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. § 839 Abs. 1 BGB zugesprochen habe.
Auch habe das LG nicht berücksichtigt, dass ein vom Kläger nach dem 31.12.2005 geltend gemachter Geldentschädigungsanspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. § 839 Abs. 1 BGB verjährt wäre, weil sich die verjährungshemmende Wirkung seines Prozesskostenhilfeantrags nicht auf einen solchen Anspruch erstrecke.
Im Übrigen habe der Kläger einen etwaigen Geldentschädigungsanspruch wegen der Geschehnisse bei seiner polizeilichen Vernehmung am 1.10.2002 verwirkt, da er nach der rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung der Zeugen A und B am 20.12.2004 bis zu seinem Prozesskostenhilfeantrag im vorliegenden Verfahren noch ein Jahr zugewartet und zudem in dem Verfahren vor dem EGMR sowie in einem Buch erklärt habe, er erstrebe weder mit seiner Beschwerde noch in dem Strafverfahren eine finanzielle Entschädigung. Hierzu begebe er sich mit seiner jetzig...