Entscheidungsstichwort (Thema)

Arzthaftung: Gabe von Oxytocin und unterlassene Wehenaufzeichnung bei Geburt

 

Verfahrensgang

LG Marburg (Urteil vom 31.07.2013; Aktenzeichen 5 O 44/07)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten zu 1. bis 4. gegen das am 31. Juli 2013 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Marburg wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten zu 5. und 6. wird das am 31. Juli 2013 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Marburg abgeändert.

Die Klage gegen die Beklagten zu 5. und 6. wird abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen tragen die Klägerin 1/3 der Gerichtskosten und ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 5. und 6. und die Beklagten zu 1. bis 4. 2/3 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin sowie ihre eigenen außergerichtlichen Kosten im vollen Umfang.

Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten zu 1. bis 4. dürfen die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in der Höhe von 110 % des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten zu 5. und 6. durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus diesem Urteil für die Beklagten zu 5. und 6. vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten zu 5. und 6. vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Beklagten zu 1. bis 3. sind Frauenärzte und bilden eine Ärztegemeinschaft. Sie waren Belegärzte im Krankenhaus der Beklagten zu 5. Die Beklagte zu 4. war angestellte Frauenärztin der Beklagten zu 1. bis 3., die Beklagte zu 6. bei der Beklagten zu 5. angestellte Hebamme.

Die Klägerin kam am ...2000 um ... Uhr mit einer ganz schweren Depression ihrer vitalen Parameter und einer extra schweren Azidose im Krankenhaus der Beklagten zu 5. zur Welt. Ihre Mutter war zuvor während der Geburt von den Beklagten zu 4. und 6. betreut und behandelt worden, nachdem sie um 4:25 Uhr im Krankenhaus der Beklagten zu 5. aufgenommen worden war. Die Beklagte zu 4. erschien bei der Mutter der Klägerin gegen 8:17 Uhr für kurze Zeit und danach erneut um 8:45 Uhr. Zu dieser Zeit hatte die Mutter der Klägerin eine Wehenschwäche und es lief ein 3 IE-Oxytocin-Tropf mit 60 ml/h langsam mit. Nach ausführlicher Anleitung der Mutter der Klägerin wurde ihr eine halbe Ampulle Oxytocin (1,5 IE) verabreicht. In der Folgezeit wurde der Mutter der Klägerin eine weitere halbe Ampulle Oxytocin (1,5 IE) gegeben.

Mit Schreiben vom 11. März 2002 teilte die gesetzliche Krankenversicherung der Mutter der Klägerin mit, der medizinische Dienst der Krankenversicherung habe eine fehlerhafte Behandlung bei der Geburt nicht feststellen können. Im Jahr 2006 holten die Eltern der Klägerin geburtshilfliche Fachgutachten des SV1 sowie des SV2 ein, in denen eine fehlerhafte Behandlung der Mutter der Klägerin im Rahmen der Geburt ausgeführt und die gesundheitlichen Schäden der Klägerin auf Sauerstoff-Unterversorgung unter der Geburt zurückgeführt wurden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil ergänzend Bezug genommen (§ 540 Abs. Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 500.000 EUR sowie zur Zahlung von 9.296,28 EUR vorgerichtlicher Kosten verurteilt und die Schadensersatzpflicht der Beklagten festgestellt. Es hat ausgeführt:

Gestützt auf die Sachverständigengutachten der SV3 und SV4 hat es die zweimalige Gabe von Oxytocin als groben Behandlungsfehler sowie das Unterlassen einer Wehenaufzeichnung während der Oxytocin-Gabe als Befunderhebungsfehler angesehen. Entsprechend dem Gutachten des Sachverständigen SV3 hat es die erste Gabe von Oxytocin für besonders fehlerhaft gehalten, weil zu diesem Zeitpunkt die Geburt nicht unmittelbar bevorgestanden habe. Das ergebe sich bereits daraus, dass die zweite Gabe von Oxytocin in einem Zeitraum von 5 bis 10 Minuten danach erfolgt sei. Die unterlassene Wehenaufzeichnung sei nach Meinung des Sachverständigen SV4 eine schlechthin unverständliche unterlassende Befunderhebung. Bei Aufzeichnung der Wehen mit einem Tokogramm wäre die aufgrund der Oxytocingabe eingetretene Hyperstimulation erfasst worden, worauf mit einer Wehenhemmung hätte reagiert werden müssen. Die fehlerhaft zu hohe Oxytocin-Gabe während der letzten 20 Minuten der Geburt habe zu einer ausgeprägten Einschränkung der kindlichen Sauerstoffversorgung geführt.

Im Hinblick auf die schwersten gesundheitlichen und körperlichen Schäden der Klägerin hat das Landgericht ein Schmerzensgeld von 500.000 EUR als angemessen angesehen, wobei auch "das Regulierungsverhalten der Beklagten nicht gänzlich außer Betracht zu lassen" sei.

Die Ansprüch...

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