Entscheidungsstichwort (Thema)

Arzthaftung: Ärztlicher Behandlungsfehler bei Geburt (hier: Überdosierung von Oxytocin)

 

Verfahrensgang

LG Marburg (Urteil vom 19.01.2018; Aktenzeichen 25 U 24/18)

 

Tenor

Ein Rechtsmittel ist nicht bekannt geworden.

Die Berufung der Beklagten gegen das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Marburg vom 19.01.2018 - 5 O 13/17 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen den Beklagten zur Last.

Das Berufungsurteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts Marburg sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten dürfen die Vollstreckung durch die Klägerinnen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des gegen die Beklagten vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht die Klägerinnen vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Die Klägerinnen begehren von den Beklagten zu 1 bis 4 aus übergegangenem Recht den Ersatz materiellen Schadens sowie die Feststellung künftiger Ersatzpflicht bezüglich weiterer materieller Schäden wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers im Zusammenhang mit der Geburt der Versicherten.

Die Beklagten zu 1 bis 3 sind Frauenärzte, die ihre Tätigkeit in einer Gemeinschaftspraxis in Stadt1 ausübten; sie betrieben zudem die geburtshilflich gynäkologische Abteilung des K-Krankenhauses in Stadt2 gemeinschaftlich als Belegärzte. Die Beklagte zu 4 war bei den Beklagten zu 1 bis 3 als angestellte Ärztin tätig. Die Beklagten zu 1 und 2 behandelten und betreuten die Mutter der bei den Klägerinnen versicherten A (nachfolgend: Versicherte) während ihrer Schwangerschaft ab dem XX.XX.1999. Am Morgen des XX.XX.2000 wurde die Mutter der Versicherten mit Wehen im K-Krankenhaus aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war die Beklagte zu 4 für die geburtshilfliche Betreuung verantwortlich; der Beklagte zu 2 hatte Hintergrunddienst. Nachdem um 4.29 Uhr und 6.45 Uhr CTG's abgeleitet worden waren, erschien die Beklagte zu 4 erstmals um 8.17 Uhr für kurze Zeit im Kreissaal und kehrte um 8.45 Uhr zurück. In der letzten Phase der Geburt wurde der Mutter der Versicherten von einer im K-Krankenhaus angestellten Hebamme zweimal das wehenfördernde Mittel Oxytocin in sehr hoher Dosis intravenös verabreicht, nämlich jeweils eine Ampulle mit 1,5 Einheiten in zwei Portionen, wobei der genaue Zeitpunkt der erste Gabe des Oxytocin streitig und nicht dokumentiert ist. Ein die Oxytocingabe begleitendes CTG, bei dem neben einem Kardiogramm des Feten auch die Wehentätigkeit bei der Mutter (Tokographie) abgebildet wurde, erfolgte nicht. In der Klinik war es zum damaligen Zeitpunkt üblich, in dieser Form Oxytocin zu geben; nach den geltenden Richtlinien sollte dieses Mittel jedoch nur als Dauerinfusion verabreicht werden mit einer Maximaldosis von 20x103 IE je Minute. Zusätzlich hatte man der Mutter der Versicherten in dieser Phase der Geburt noch einen Wehentropf angehängt, wobei nicht feststeht, wie lange dieser lief. Dabei wurden 3 IE Oxytocin mit einer Fließgeschwindigkeit von 60 ml je Stunde verabreicht.

Die Versicherte wurde dann um 9.04 bzw. 9.05 Uhr mit einer ganz schweren Depression ihrer vitalen Parameter und einer extra schweren Azidose geboren. Die zunächst von der Beklagten zu 4 bzw. der hinzugerufenen Anästhesistin durchgeführte notfallmäßige Versorgung der Versicherten durch Sauerstoffzugabe über eine Maske und Herzmassage wurde um 9.22. Uhr von einem Kindernotarztteam übernommen. Die Versicherte erlitt als Folge einer Sauerstoffmangelversorgung schwerste geistige und körperliche Behinderungen; wegen der Einzelheiten wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils vom 19.01.2018 (Bl. 387 ff, 389 Bd. II d. A.) verwiesen.

Bereits im Jahre 2001 hatte die Klägerin zu 1 mit Einwilligung der Mutter der Versicherten von den Beklagten Kopien der Behandlungsunterlagen angefordert, die sie, die Klägerin zu 1, nach Erhalt an den I zur Begutachtung weiterleitete. Dieser kam in dem Gutachten des B vom 14.02.2002 zu dem Schluss, dass ein Behandlungsfehler nicht festzustellen sei. Wegen der Einzelheiten der an den Gutachter gerichteten Fragen und des Ergebnisses des Gutachtens wird auf die zur Akte gereichten Kopien des Begutachtungsauftrages vom 11.5.2001 (Bl. 371 Bd. II d. A.) und des Gutachtens vom 14.02.2002 (Bl. 28 ff Bd. I d. A.) Bezug genommen. Daraufhin teilte die Klägerin zu 1 dem Beklagten zu 3 mit Schreiben vom 11.03.2002 (Bl. 344 d. A.) mit, dass die Angelegenheit aus ihrer Sicht abgeschlossen sei, da nach dem Gutachten nicht von einem Behandlungsfehler ausgegangen werden könne.

Nachdem die Eltern der Versicherten unter dem 27.01.2006 ein medizinisches Gutachten des Sachverständigen C (Bl. 31 ff Bd. I d. A.) eingeholt und der Klägerin zu 1 übersandt hatten, gaben die Klägerinnen in Absprache mit den Eltern ein weiteres Gutachten bei dem Sachverständigen D in Auftrag, welches am 11.07.2006 vorlag (Bl. 38 ff Bd. I d. A.). Nachfolgend holten die Klägerinnen no...

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