Entscheidungsstichwort (Thema)

Arzthaftung: Anforderungen an den Klägervortrag zu Behandlungsfehlern (hier anlässlich der Beatmung während Operation)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Arzthaftungsrecht ist ergänzend zu beachten, dass zur Sicherung eines fairen Verfahrens und der Waffengleichheit im Prozess an die Substantiierungspflicht des Patienten nur maßvolle Anforderungen gestellt werden dürfen, weil von diesem regelmäßig keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert werden kann. Der Patient darf sich daher auf einen Vortrag beschränken, der für ihn aufgrund der Folgen die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens des Arztes gestattet.

2. Hat der Kläger Ort und Zeit des behaupteten Behandlungsfehlers und dessen angebliche Folgen (hier: Schleimabsonderungen an den Stimmbändern und Schwierigkeiten bei der Stimmmodulation) konkret benannt, und ist er zu weiterem Vortrag, insbesondere zum Kausalzusammenhang zwischen der Beatmung und seinen Beschwerden ohne medizinische Fachkenntnisse nicht in der Lage, ist es Aufgabe des Gerichts, seine Behauptungen durch Einholung eines zusätzlichen anästhesiologischen Sachverständigengutachtens von Amts wegen zu überprüfen. Dass eine erfolgreiche Beweisführung unwahrscheinlich erscheint, berechtigt das Gericht nicht zu einer pauschalen eigenständigen Kausalitätsbeurteilung ohne Einholung medizinischen Sachverstands.

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 15.06.2016; Aktenzeichen 2-4 O 248/14)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 15.6.2016 (2-04 O 248/14) aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Landgericht vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger beansprucht Schmerzensgeld und die Feststellung eines Schadensersatzanspruches wegen einer aus seiner Sicht fehlerhaften ärztlichen Behandlung.

Der Kläger, Jahrgang 19xx, zog sich im ... 2010 eine Densfraktur Typ II der oberen Halswirbelsäule zu. Die Fraktur wurde zunächst während eines mehrtägigen stationären Aufenthalts des Klägers in der Klinik der Beklagten konservativ therapiert. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus stellte der Kläger sich bis zum 18.1.2011 bei der Beklagten zu ambulanten Kontrolluntersuchungen vor. Eine CT-Aufnahme vom 20.1.2011 zeigte eine deutliche Dislokation der betroffenen Knochenteile. Aufgrund dessen begab der Kläger sich im Februar 2011 für weitere 12 Tage in die Klinik der Beklagten. Dort erfolgte am ...2.2011 unter Vollnarkose eine Operation des Bruches nach Anderson mittels anteriorer Verschraubung. Gleichwohl trat auch im weiteren Verlauf keine Knochenbindung ein. Vielmehr zeigten sich eine Pseudarthrose und eine Kallusbildung. ... 2012 unterzog der Kläger sich in einer anderen Klinik einer Spondylodese.

Der Kläger hat behauptet, die Dislokation der Knochenteile sei wegen mangelhafter Befunderhebung zu spät erkannt worden. Auch die Operation vom ...2.2011 sei nicht mit der notwendigen Sorgfalt und mit der falschen Operationstechnik durchgeführt worden. Zudem sei seine Beatmung fehlerhaft gewesen, weshalb er bis heute unter Schleimabsonderungen an den Stimmbändern und unter Schwierigkeiten bei der Stimmmodulation leide. Durch eine rechtzeitige und fehlerfreie Behandlung hätten die Entstehung der Pseudarthrose und die Spondylodese verhindert werden können.

Das Landgericht, auf dessen Urteil hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der in 1. Instanz gestellten Anträge verwiesen wird, hat die Klage nach Einholung eines unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens abgewiesen, weil keine Behandlungsfehler festzustellen seien. Den Vortrag des Klägers hinsichtlich seiner Beatmung während der OP hat es als unsubstantiiert bezeichnet.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Rechtsschutzziele vollumfänglich weiter. Er rügt einerseits unter mehreren Aspekten die landgerichtliche Einschätzung der unfallchirurgischen Sachlage. Zusätzlich beanstandet er eine mangelhafte Beweiserhebung durch das Eingangsgericht hinsichtlich seines Vortrags zu durch die Schlauchbeatmung während der Operation ausgelösten Beschwerden im Bereich seiner Stimmbänder.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Festsetzung der Höhe nach in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit gemäß § 288 Abs. 1, 291 S. 1 1. HS BGB;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche aus der fehlerhaften Behandlung durch die Beklagte resultierenden weiteren materiellen Schäden für Vergangenheit und Zukunft, sowie die nicht vorhersehbaren immateriellen Zukunftsschäden zu ersetzen, soweit diese Ansprüc...

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