Entscheidungsstichwort (Thema)
Entschädigung bei Flugversäumung wegen eines von dem Reisenden nicht zu verantwortenden Gefahrenverdachts
Leitsatz (amtlich)
Wurde ein Flugreisender für einen Gefahrerforschungseingriff gem. § 5 Abs. 1, 2 und 3 i.V.m. § 11 Abs. 1 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) als Verantwortlicher in Anspruch genommen, weil der durch Tatsachen begründete, letztlich aber nicht bestätigte Verdacht bestand, dass von seinem Handgepäck eine Gefahr ausgehe, so kann er, wenn er die Entstehung des Gefahrenverdachts nicht zu verantworten hat und wegen der Sicherheitskontrolle seinen Flug versäumt, weil spezielles Sicherheitspersonal aus Haushaltsgründen nachts nur in Rufbereitschaft vorgehalten wurde und erst nach längerem Aufenthalt am Flughafen eintraf, nach Aufopferungsgrundsätzen die Kosten eines Ersatztickets ersetzt verlangen.
Normenkette
ALR PR §§ 74-75; LuftSiG § 5 Abs. 1-3
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 10.10.2012; Aktenzeichen 2-4 O 32/12) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 10.10.2012 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Frankfurt/M. (2/4 O 32/12) wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig voll-streckbar. Das vorliegende Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Von einer Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil sowie von der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird gem. § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen, weil die Revision nicht zugelassen wurde und ein Rechtsmittel gegen das Urteil deshalb bei einer Beschwer der Parteien von jeweils nicht über 20.000 EUR unzweifelhaft nicht zulässig ist (§ 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO, § 544 ZPO).
II.1. Die Berufung ist unbegründet.
Die Klage ist begründet. Der Kläger kann von der Beklagten wegen der Kontrollmaßnahme vom 27.7.2011 eine Entschädigung i.H.v. 911,98 EUR verlangen. Er wurde von der Beklagten für einen Gefahrerforschungseingriff gem. § 5 Abs. 1, 2 und 3 i.V.m. § 11 Abs. 1 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) als Verantwortlicher in Anspruch genommen, weil der durch Tatsachen begründete, letztlich aber nicht bestätigte Verdacht bestand, dass von seinem - einer Röntgenkontrolle unterzogenen - Handgepäck eine Gefahr ausgehe. Für den durch die Kontrolle erlittenen Nachteil, die Versäumung eines von ihm für zwei Personen gebuchten Fluges und den Verfall der hierfür erworbenen Flugtickets, kann er nach aufopferungsrechtlichen Grundsätzen wie ein Nichtverantwortlicher Entschädigung verlangen, weil er die Entstehung des Gefahrenverdachts nicht zu verantworten hat.
a. aa. Nach dem von der Rechtsprechung aus §§ 74, 75 der Einleitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts (Einl. ALR) abgeleiteten, inzwischen gewohnheitsrechtlich verfestigten Aufopferungsgedanken kann derjenigen, dem durch einen Eingriff der Staatsgewalt in eines seiner Rechts- oder Lebensgüter ein Sonderopfer auferlegt wurde, Entschädigung verlangen (vgl. Staudinger/Wurm, BGB 2012, § 839 Rz. 498 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 28 Rz. 1 ff.). Entsprechendes gilt für hoheitliche Einwirkungen auf eigentumsrechtlich, durch Art. 14 Abs. 1 GG, geschützte Rechtspositionen, etwa auf vermögenswerte Forderungsrechte (vgl. Staudinger/Wurm, BGB 2012, § 839 Rz. 437 ff., 465 ff.). Eine gesetzliche Regelung hat der Aufopferungsgedanke in den Polizeigesetzen der Länder erfahren, u.a. in § 64 Abs. 1 Satz 1 HSOG. Nach dieser Vorschrift ist demjenigen, der infolge einer polizeirechtlichen Inanspruchnahme als Nichtverantwortlicher einen Schaden erleidet, ein angemessener Ausgleich zu gewähren. Bei der Inanspruchnahme eines Nichtverantwortlichen handelt es sich um einen zielgerichteten hoheitlichen Grundrechtseingriff, der dem Betroffenen, weil er für das Bestehen der Gefahrenlage keine Verantwortung trägt, ein Sonderopfer auferlegt (vgl. Schifffahrtsobergericht Karlsruhe, Urteil vom 3 Juli 2013, 22 U 1/13 BSch, juris Rz. 17 mit weiteren Nachweisen). Entsprechendes gilt, wenn der Eigentümer einer Sache rechtmäßig als Störer in Anspruch genommen wird, weil ein durch Tatsachen begründeter Verdacht besteht, dass von der Sache eine Gefahr ausgeht: Auch er kann für die dadurch erlittenen Nachteile wie ein Nichtverantwortlicher (Nichtstörer) Entschädigung verlangen, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Gefahr in Wirklichkeit nicht bestand, soweit er die Verdacht begründenden Umstände nicht zu verantworten hat (vgl. BGH, Urteil vom 11.7.1996, NJW 1996, 3151, 3152, juris Rz. 16; Schifffahrtsobergericht Karlsruhe, Urteil vom 3 Juli 2013, 22 U 1/13 BSch, juris Rz. 17). Abzustellen ist insoweit nicht auf den Zeitpunkt des Eingriffs. Entscheidend sind vielmehr die tatsächlichen Umstände, wie sie sich bei späterer rückschauender Betrachtung (ex tunc) objektiv darstellen; denn bei der Frage der Entschädigung geht es nicht um die Mö...