Leitsatz (amtlich)
In der Unfallversicherung muss sich der Versicherungsnehmer nur solchen Operationen unterziehen, zu denen sich ein vernünftiger Mensch unter Abwägung aller Umstände entschließen würde. Auch im Rahmen der allgemeinen Schadensgeringhaltungspflicht ist der Geschädigte lediglich gehalten, sich auf einfache, gefahrlose und sicheren Erfolg versprechende Operationen einzulassen, nicht aber auf solche, die der Sachverständige als lediglich vertretbar, nicht aber als nur gering eingestuft hat.
Normenkette
AUB-88 §§ 9-10; BAB § 254
Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Urteil vom 30.08.2001; Aktenzeichen 2 O 50/99) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 30.8.2001 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des LG Wiesbaden (Az.: 2 O 150/99) wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger begehrt bedingungsgemäße Invaliditätsentschädigung aus einer bei der Beklagten unter Einbeziehung der AUB 88 genommenen Unfallversicherung mit der Behauptung, aufgrund einer unstreitigen Kompressionsfraktur des ersten Lendenwirbelkörpers, die neben einem folgenlos verheilten Bruch des linken Handgelenks Folge eines Sturzes aus sechs Metern Höhe am 21.6.1997 war, bestehe ein Invaliditätsgrad von 30 %. Die Invaliditätssumme beträgt 100.000 DM für den 25 % nicht übersteigenden Invaliditätsgrad und 200.000 DM für den 25 %, aber nicht 50 % übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades. Ausgehend von der behaupteten 30 %-igen Invalidität hatte der Kläger seinen Anspruch zunächst mit 60.000 DM beziffert (30 % von 200.000), später mit 35.000 DM (25 % von 100.000 DM zzgl. 5 % von 200.000 DM).
Der Kläger litt an Morbus Scheuermann. Der von der Beklagten im Rahmen der Leistungsprüfung beauftragte Sachverständige Dr. A hat in einem -wie sich während der ersten Instanz ergeben hat, unvollständig ausgedruckten - Gutachten vom 22.1.1999 (Bl. 20-33 d.A.) deshalb eine Vorinvalidität von 15 % angenommen und sich zu dem nach dem Sturz vorliegenden Invaliditätsgrad nicht geäußert. Die Beklagte hat Leistungen zunächst abgelehnt. In der vollständigen Fassung des Gutachtens von Dr. A. (Bl. 164-177 d.A..) wird eine Invalidität von 30 % nach dem Unfall und eine Vorinvalidität von 15 % angenommen. Die Beklagte hat nach Anrechnung der Vorinvalidität gem. § 7 Abs. 1 Nr. AUB 15.000 DM an den Kläger gezahlt. In Höhe dieser Zahlung haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt; darüber hinaus hat der Kläger die ursprüngliche Klage mit Zustimmung der Beklagten i.H.v. 25.000 DM teilweise zurückgenommen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 35.000 DM nebst 4 % Zinsen ab dem 20.7.1999 abzgl. des am 22.2.2000 gezahlten Betrages von 15.000 DM zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das LG hat zu dem vom Kläger behaupteten unfallbedingten Invaliditätsgrad ein Gutachten bei dem Leiter der unfallchirurgischen Abteilung der Y. eingeholt. Das von Prof. Dr. B. und den Dres. C. und D. erstattete Gutachten vom 22.1.2001 (Bl. 244-250 d.A.) verneint eine Mitwirkung des Morbus Scheuermann sowie eine Vorinvalidität und nimmt eine MdE von 20 % auf Dauer an. In einem von den Dres. C. und D. unterzeichneten Ergänzungsgutachten vom 12.6.2001 (Bl. 265a d.A.) wird die unfallbedingte Invalidität mit 30 % angegeben.
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird im Übrigen Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils.
Mit diesem Urteil hat das LG dem Kläger den nach Teilrücknahme der Klage und übereinstimmend erklärter Teilerledigung noch geltend gemachten Betrag zugesprochen und zur Begründung ausgeführt, dass den Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen zufolge die Leistungsfähigkeit des Klägers zu 30 % eingeschränkt sei und eine Mitwirkung des Morbus Scheuermann nicht erwiesen sei. Wegen der Erwägungen des LG im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
II. Gegen dieses ihr am 15.10.2001 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit der am 30.10.2001 eingelegten Berufung, die sie am 27.11.2001 begründet hat und mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiter verfolgt.
Die Beklagte macht geltend, dass das Ergänzungsgutachten vom 12.6.2001 unschlüssig sei, weil der Invaliditätsgrad nach den AUB nicht höher sein könne als die MdE. Laut einem von ihr eingeholten Privatgutachten von Dr. E. vom 19.7.2001 (Bl. 281-283 d.A.) bestehe eine Gesamtinvalidität nach dem Unfall von 20 % bei einer Vorinvalidität von 5 %, so dass die unfallbedingte Invalidität 15 % betrage.
Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des LG Wiesbaden vom 30.8.2001 - 2 O 150/99, die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung des Bestreitens einer Vorinvalidität und macht geltend, dass das Privatgutachten von Dr. E. nur i.E., nicht aber in dessen Herlei...