Entscheidungsstichwort (Thema)
Anscheinsbeweis wegen beratungsgerechten Verhaltens im anwaltlichen Mandat
Leitsatz (amtlich)
1. Der um eine Rechtsberatung ersuchte Rechtsanwalt ist zu einer umfassenden Beratung verpflichtet, die - so noch keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt - auch die obergerichtliche Rechtsprechung umfasst.
2. Die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens des Mandanten kommt im Falle einer Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung nur zum Tragen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung offensichtlich ohne Erfolg bleiben muss.
3. Die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten der Rechtsschutzversicherung sind grundsätzlich als Schaden erstattungsfähig.
Normenkette
BGB §§ 280, 611, 675; VVG § 86
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 28.07.2020; Aktenzeichen 2-07 O 397/19) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Unter Zurückweisung der Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 28. Juli 2020 (Az. 2-07 O 397/19) auf die Anschlussberufung der Klägerin teilweise abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 958,19 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06. Dezember 2019 zu zahlen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen das landgerichtliche Urteil, mit dem er zur Zahlung von Schadensersatz wegen der Verletzung anwaltlicher Pflichten verurteilt wurde. Die Anschlussberufung der Klägerin richtet sich gegen die Teilabweisung ihrer Klage wegen der geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Zur Durchsetzung von gegen die Bank1 AG ... gerichteter Ansprüche nach Darlehenswiderruf vertrat der Beklagte die Eheleute X zunächst vorgerichtlich und sodann in einem vor dem Landgericht Stadt1 (Az. .../17) geführten Rechtsstreit. Zwischen der Klägerin und den Eheleuten X bestand ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, auf dessen Grundlage die Klägerin für den vorgenannten Rechtsstreit am 09. Dezember 2016 eine Deckungszusage erteilt hatte. Die Versicherungsbedingungen sehen eine Eigenbeteiligung der Eheleute X in Höhe von 150,00 EUR vor.
Die Eheleute X hatten im Jahr 2004 als Verbraucher mit der Bank1 AG ... einen Darlehensvertrag über die Gewährung eines grundpfandrechtlich besicherten Darlehens geschlossen. Der Vertrag enthielt eine Widerrufsinformation mit folgender Formulierung zum Fristbeginn:
"Die Frist beginnt einen Tag, nachdem Sie ein Exemplar dieser Belehrung in Textform und eine Ausfertigung des Darlehensvertrags erhalten und den von Ihnen unterzeichneten Darlehensvertrag an uns abgesandt haben."
Hinsichtlich des weiteren Inhalts der Belehrung sowie ihrer grafischen Gestaltung wird auf die Kopie des Darlehensvertrags (Anlage K 1 - Bl. 21 d.A.) verwiesen.
Im Juni 2016 hatten die Eheleute X den Widerruf ihrer auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen erklärt. Die Bank1 AG ... hatte auf der Wirksamkeit des Darlehensvertrags bestanden.
Bei seiner Beauftragung erklärte der Beklagte den Eheleuten X, dass es bezüglich der vorliegenden Widerrufsbelehrung noch keine Entscheidung des Bundesgerichtshofs gebe. Verschiedene Formulierungen in der Widerrufsbelehrung würden von den Gerichten unterschiedlich hinsichtlich der Wirksamkeit und des Anlaufens der Widerrufsfrist beurteilt. Es könne daher auch sein, dass die Widerrufsbelehrung von dem anzurufenden Landgericht Stadt1 als wirksam erachtet werde.
Bereits vor Mandatierung des Beklagten, nämlich mit Urteil vom 29. April 2015, hatte das Oberlandesgericht Stuttgart besagte Widerrufsbelehrung als wirksam angesehen und dabei zur Begründung unter anderem ausgeführt, dass die Belehrung hinsichtlich des Fristbeginns, der äußeren Gestaltung und der Widerrufsfolgen den Vorgaben des § 355 Abs. 2 BGB aF entspreche (OLG Stuttgart, Urteil vom 29. April 2015 - 9 U 176/14, 9 U 176/14, BeckRS 2015, 10512, beck-online). Seine Rechtsprechung bestätigte das Oberlandesgericht Stuttgart in der Folge in Beschlüssen vom 19. Oktober 2016 (6 U 173/16) und 02. Januar 2017 (6 U 173/16).
Auf die einschlägigen Entscheidungen des Oberlandesgericht Stuttgart wies der Beklagte die Eheleute X nicht hin.
Am 20. Januar 2017 erhob der Beklagte für die Eheleute X Klage zum Landgericht Stadt1 mit dem Antrag, "festzustellen, dass das zwischen den Parteien im Jahre 2004 geschlossene Darlehensvertragsverhältnis über einen Darlehensbetrag i.H.v. 70.000,00 EUR durch den Widerruf der Kläger vom 10. Juni 2016 in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt wurde". Später stellte der Beklagte für die Eheleute X hilfsweise den Antrag auf Zahlung von 60.951,25 EUR zzgl. Nutzungsvergütung Zug um Zug gegen Zahlung von 70.000,00 EUR zzgl. Nutzungsvergütung. Der Beklagte begründete die Klage mit der vermeintlichen Fehlerhaftigkeit der Widerrufsbelehrung in B...