Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwirkung des Widerrufsrechts bei vorzeitig beendeten Verbraucherdarlehensverträgen
Leitsatz (amtlich)
Bei vorzeitig auf Wunsch des Verbrauchers einvernehmlich gegen Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung beendetem Darlehensvertrag ist das für die Annahme der Verwirkung erforderliche sog. Umstandsmoment im Sinne einer tatsächlichen Vermutung regelmäßig anzunehmen, dies jedenfalls dann, wenn seit der erfolgten Auflösung des Darlehensvertrages bis zur Erklärung des Widerrufs ein nicht unerheblicher Zeitraum vergangen ist.
Normenkette
BGB §§ 355, 495; BGB-InfoV §§ 14, 14 Anlage 2; BGB § 242
Verfahrensgang
LG Hanau (Urteil vom 15.12.2015; Aktenzeichen 1 O 673/15) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 15.12.2015 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des LG Hanau wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das angefochtene Urteil und das Urteil des Senats sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert beträgt für beide Rechtszüge 19.736,53 EUR.
Gründe
I. Der Kläger schloss mit der Beklagten am 29.8.2008 einen grundpfandrechtlich gesicherten Darlehensvertrag über nominal 331.000,00 EUR. Dem Darlehensvertrag war eine Widerrufsbelehrung beigefügt, wegen deren Inhalts auf Bl. 10 d.A. verwiesen wird.
Der Kläger zahlte auf das ihm ausgezahlte Darlehen die fälligen Zins- und Tilgungsraten. Mit Vereinbarung vom 5.6.2013 wurde der Darlehensvertrag einvernehmlich vorzeitig gegen die Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 19.736,53 EUR aufgehoben. Der Kläger behielt sich dabei vor, "die Vorfälligkeitsentschädigung sowohl ihrer Höhe als auch ihrem Rechtsgrund nach zu überprüfen". In der Folge zahlte der Kläger die Vorfälligkeitsentschädigung an die Beklagte.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 25.2.2015 erklärte der Kläger den Widerruf des Darlehensvertrages und verlangte die Rückzahlung der geleisteten Vorfälligkeitsentschädigung sowie die Herausgabe der durch die Beklagte aus dem Darlehensverhältnis gezogenen Nutzungen. Mit der Klage hat der Kläger zunächst die Feststellung begehrt, dass der Darlehensvertrag durch den Widerruf aufgelöst worden sei und verlangte zudem Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten. Mit Schriftsatz vom 20.11.2015 verlangte der Kläger nunmehr die Rückzahlung der geleisteten Vorfälligkeitsentschädigung nebst Zinsen sowie weiterhin (in einem geringeren Betrag) Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils verwiesen.
Die Parteien streiten über die Frage der Wirksamkeit der Widerrufserklärung sowie über die Frage, ob der Widerrufserklärung des Klägers die Einwände der Verwirkung oder der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstehen.
Das LG Hanau hat mit seinem am 15.12.2015 verkündeten und dem Kläger am 18.12.2015 zugestellten Urteil die Klage wegen Verfristung des Widerrufs abgewiesen. Die Kammer hat die Widerrufsbelehrung hinsichtlich des Beginns der Widerrufsfrist ("frühestens") als fehlerhaft angesehen, jedoch angenommen, dass sich die Beklagte auf die Gesetzlichkeitsfiktion des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV a.F. berufen könne, weil eine inhaltliche Bearbeitung des Musters durch die Beklagte nicht vorliege. Eine solche liege auch nicht in der Einführung der Fußnote 2, die keinen Eingriff in die Musterbelehrung darstelle, weil sich der dazugehörige Text außerhalb der eingerahmten Widerrufsbelehrung befinde und der Verbraucher erkennen müsse, dass sich dieser nicht an ihn, sondern an den Sachbearbeiter der Beklagten richte. Auch hinsichtlich des Abschnitts über finanzierte Geschäfte sei keine inhaltliche Bearbeitung zu sehen. Diese Belehrung sei bereits gegenstandslos und lediglich im Sinne eines Baukastensystems in die Belehrung aufgenommen worden. Die Frage, ob der Widerruf des Klägers infolge der bereits zuvor erfolgten einvernehmlichen Auflösung des Darlehensvertrages noch wirksam habe erklärt werden können, hat die Kammer offen gelassen.
Hiergegen richtet sich die am 15.1.2016 eingelegte und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 25.2.2016 am 19.2.2016 eingelegte Berufung des Klägers.
Der Kläger beantragt, das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Hanau vom 15.12.2015 abzuändern und (unter erneuter Änderung der Klageanträge)
1. festzustellen, dass der zwischen den Parteien unter der Kontonummer ... geschlossene Darlehensvertrag durch den Widerruf des Klägers aufgelöst ist und sich in ein gesetzliches Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt hat;
2. hilfsweise für den Fall, dass der Senat dem Klageantrag zu 1. nicht entsprechen sollte, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 19.736,53 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 ...