Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungsrecht. Rücktrittsrecht. Falschangaben. grobe Fahrlässigkeit. Ausschluss des Rücktrittsrechts bei vermutetem Vertragsschluss bei Kenntnis unbekannt gebliebener Umstände
Normenkette
BGB §§ 280, 286; VVGEG Art. 1; VVG §§ 19, 21
Verfahrensgang
LG Gießen (Entscheidung vom 04.03.2011; Aktenzeichen 4 O 74/10) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Gießen vom 4.3.2011 wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung des Klägers und unter Zurückweisung seiner weitergehenden Berufung wird das Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Gießen vom 4.3.2011 abgeändert und wie folgt neu gefasst.
Es wird festgestellt, dass der zwischen den Parteien seit dem ...2007 bestehende Versicherungsvertrag Nr. ... durch die Erklärung der Beklagten vom 2.4.2009 nicht beendet ist, sondern unverändert fortbesteht.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorprozessualen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 882,96 € freizustellen durch Zahlung eines Betrages in Höhe von 732,96 € an die A-Versicherung AG, B-Str. ..., O1 zu Schaden-Nr.: ... auf deren Konto bei der Bank 1, BLZ: ..., Konto-Nr.: ... sowie durch Zahlung in Höhe von 150,00 € an die Rechtsanwälte Dr. C & D, E-Str. ..., O2 unter Angabe des Aktenzeichens .../09 auf das Konto Bank 2, BLZ ..., Konto-Nr. ...
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zu tragen. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 1/14 und die Beklagte 13/14 zu tragen.
Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit ...2007 eine Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung mit einem monatlichen Beitrag von 183,27 € und vereinbarter BU-Rente von mtl. 500 €. Die Parteien streiten, nachdem in erster Instanz auch Leistungsansprüche wegen eingetretener Berufsunfähigkeit streitig waren, die Hauptsache insoweit aber übereinstimmend für erledigt erklärt ist, in der Berufungsinstanz nur noch über die Wirksamkeit eines von der Beklagten ausgesprochenen Rücktritts und über außergerichtliche Anwaltskosten.
Dem Versicherungsvertrag liegt der Antrag des Klägers vom 23.05.2007 zugrunde, in dem der Kläger die Gesundheitsfragen verneinend beantwortete. Im Februar 2009 wurde bei dem Kläger ein F festgestellt. Er hat deshalb in der Folgezeit bedingungsgemäße Leistungen verlangt. Mit Schreiben vom 02.04.2009 (Anlage K 8) erklärte die Beklagte den Rücktritt vom Versicherungsvertrag, weil der Kläger folgende Erkrankungen bei Stellung seines Versicherungsantrags schuldhaft nicht angegeben habe:
[...]
Die Entscheidung über den erhobenen Leistungsanspruch behielt sich die Beklagte vor, da ihre Leistungsprüfung wegen fehlender Informationen noch nicht beendet sei. Mit anwaltlichem Schreiben vom 06.11.2009 trat der Kläger dem Rücktritt entgegen und forderte die Beklagte auf, ihre Eintrittspflicht anzuerkennen.
Das Landgericht hat über Hergang und Inhalt der Antragsaufnahme Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen Z1, eines Versicherungsagenten, und der Zeugin Z2, der Ehefrau des Klägers.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die Unwirksamkeit des Rücktritts festgestellt und die auf Zinsen und vorprozessuale Kosten gerichtete Zahlungsklage im Übrigen abgewiesen. Hinsichtlich des Rücktritts hat das Landgericht angenommen, dass eine Anzeigepflichtverletzung des Klägers vorliege, dass die Beklagte aber die Gefahrerheblichkeit der verschwiegenen Umstände nicht hinreichend vorgetragen, insbesondere nicht dargelegt habe, von welchen Grundsätzen sie sich bei der dem Vertragsschluss vorausgehenden Risikoprüfung habe leiten lassen. Es sei nicht ersichtlich, dass die Anzeigepflichtverletzung einen Einfluss auf ihren Entschluss zum Vertragsabschluss gehabt habe. Die Darlegung der Risikoprüfungsgrundsätze durch die Beklagte sei auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Denn die Gefahrerheblichkeit der nicht angegebenen Erkrankungen habe nicht auf der Hand gelegen. Hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten fehle es an der Darlegung, dass die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten des Klägers zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, als sich die Beklagte schon im Verzug befunden habe.
Hiergegen richten sich die Berufungen des Klägers und der Beklagten. Der Kläger verfolgt hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten seinen zuletzt gestellten, erstinstanzlichen Antrag weiter. Die Beklagte erstrebt mit der Berufung die schon in erster Instanz begehrte Abweisung des Feststellungsantrags.
Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus, dass der Anspruch auf Ersatz der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten jedenfalls daraus folge, dass der unberechtigte Rücktritt eine Pflichtverletzung darstelle und Waffengleichheit gegenüber dem sachkundigen Versicherer nur durch Beauftragung eines Rechtsanwalts erreicht werden könne.
Zur Begründun...