Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung im Falle des Zusammenwirkens mehrerer Ärzte aus verschiedenen Fachgebieten
Leitsatz (amtlich)
Ein Arzt ist grundsätzlich nur für sein Fachgebiet verantwortlich; er darf also auf sorgfältiges Arbeiten des jeweils anderen Arztes in dessen Fachgebiet vertrauen (sog. Vertrauensgrundsatz).
Verfahrensgang
LG Hanau (Urteil vom 10.02.2017; Aktenzeichen 4 O 1370/14) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 10. Februar 2017 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hanau wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die im Berufungsrechtszug entstandenen Kosten - einschließlich der Kosten des Streithelfers des Beklagten - zu tragen.
Das angefochtene Urteil des Landgerichts vom 10. Februar 2017 und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für den zweiten Rechtszug wird auf die Wertstufe bis EUR 80.000,00 festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche wegen etwaiger ärztlicher Behandlungsfehler.
Der Beklagte ist Facharzt für Orthopädie und führt eine Praxis in Stadt1, der Streithelfer des Beklagten ist Radiologe.
Der Klägerin wurden bei einer Operation am .... Mai 2010 im A-Krankenhaus in Stadt2 wegen einer Wirbelsäulenerkrankung vier Pedikelschrauben im Lendenwirbelbereich implantiert.
Nach einem Sturz der Klägerin Ende Februar 2011 litt diese unter Schmerzen im unteren Rückenbereich sowie unter ausstrahlenden Schmerzen über das Becken hinweg durch das linke Bein hinunter bis zum Fuß. Infolgedessen begab sich die Klägerin am .... März 2011 in die Praxis des Beklagten. Diesem beschrieb sie ihre Schmerzen und wies auf die Schraubenimplantate hin. Der Beklagte veranlasste sodann eine röntgenologische Untersuchung durch den Streithelfer.
Am 10. März 2011 besprach der Beklagte mit der Klägerin im Rahmen eines weiteren Termins die Röntgenbilder. In einem den Parteien dabei vorliegenden Befundbericht des Streithelfers vom 7. März 2011 (Bl. 21 d. A.) heißt es u. a.: "Frakturen oder Beschädigungen des Osteosynthesematerials liegen nicht vor".
Der Beklagte teilte den Standpunkt des Streithelfers und fertigte unter dem 14. März 2011 einen "Orthopädischen Befundbericht" (Bl. 22 d. A.), in dem es u. a. fettgedruckt heißt: "Frakturen oder Beschädigungen liegen nicht vor". Er diagnostizierte eine Lumboischialgie und verordnete eine Lendenwirbelsäulenbandage und Medikamente.
Am .... Mai 2012 - also knapp 14 Monate später - stellte sich die Klägerin erneut mit gleichbleibendem Schmerzbild bei dem Beklagten vor, der wiederum eine Röntgenuntersuchung bei dem Streithelfer veranlasste. Etwa eine Woche später besprach der Beklagte mit der Klägerin die angefertigten Röntgenbilder. In dem Befundbericht des Streithelfers vom .... Mai 2012 (Bl. 23 d. A.) heißt es u. a.: "Im Vergleich zur Voruntersuchung vom .... März 2011 etwa vergleichbarer Befund".
Der Beklagte erklärte die Schmerzen der Klägerin mit einer mangelnden inneren Muskelstabilität und verordnete ein spezielles Muskelaufbautraining in einer Physiotherapie, welches 40 einstündige Einheiten beinhaltete. Dieses Training führte die Klägerin zunächst durch, musste es jedoch schmerzbedingt abbrechen.
Die Klägerin hat behauptet, die Pedikelschraube SWK 1 links sei durch den häuslichen Sturz gebrochen; dieser Schraubenbruch sei die Ursache der Beschwerden der Klägerin gewesen. Der Beklagte hätte - so die Klägerin weiter - dies im Rahmen der Durchsicht der Röntgenbilder erkennen können und müssen. Der Beklagte habe ihr nach Durchsicht der ersten Röntgenbilder Ibuprofen 800 verordnet und sie angewiesen, dies so lange einzunehmen, bis es ihr wieder besser ginge.
Der Schraubenbruch sei bereits auf den Bildern vom .... März 2011 und noch deutlicher auf den Aufnahmen vom .... Mai 2012 erkennbar gewesen. Bei ihrer Vorstellung am .... September 2012 im A-Krankenhaus Stadt2 hätten die dort behandelnden Ärzte den Materialbruch der Schraube mit Blick auf die Röntgenbilder sofort erkannt.
Sie habe sich am .... Oktober 2012 wegen der gebrochenen Schraube im A-Krankenhaus einer weiteren Operation unterziehen müssen; dabei sei die gebrochene Schraube entfernt worden; dennoch seien die Schmerzen nicht zurückgegangen, weshalb sie sich Ende Januar 2013 erneut im A-Krankenhaus vorgestellt habe. Ihr sei infolge einer lange andauernden Reizung des Nervs durch die gebrochene Schraube ein Dauerschaden entstanden, der durch eine sofortige operative Behandlung im März 2011 hätte verhindert werden können.
Der Beklagte hätte überdies spätestens bei ihrem Erscheinen im Mai 2012 anstelle einer wiederholten Röntgenuntersuchung eine computertomographische Untersuchung (CT) der Lendenwirbelsäule veranlassen müssen. Sie leide...