Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, wann ein Spielfilm, der die Straftat eines verurteilten Mörders zum Gegenstand hat, dessen Persönlichkeitsrechte rechtswidrig verletzen kann ("Kannibale von Rotenburg").
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3; KUG §§ 22-23
Verfahrensgang
LG Kassel (Aktenzeichen 8 O 1854/06) |
Nachgehend
Gründe
Der Kläger, der als Kannibale von Rotenburg bekannt und zwischenzeitlich wegen Mordes verurteilt worden ist, verlangt von der Beklagten, den von ihr produzierten Spielfilm mit dem Titel "Rohtenburg" weder vorzuführen noch sonst in den Verkehr zu bringen. Die Lebensgeschichte der Hauptfigur des Films sowie die Darstellung des Tathergangs entsprechen nahezu detailgenau der tatsächlichen Biographie des Klägers und dem realen Tatablauf. Wegen des Weiteren Sachverhalts wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen. Des Weiteren wird wegen des Inhalts des Films auf die in der Klarsichthülle Bd. I Bl. 141 d.A. befindliche DVD verwiesen.
Das LG hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, der Klageantrag sei hinreichend bestimmt, weil der Zusatz "auf Grundlage wesentlicher Lebensbilder und Persönlichkeitsmerkmale von Herrn X" lediglich der Konkretisierung des Films diene. In der Sache sei die Klage gem. den §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB begründet, weil der Kläger durch den Film in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht rechtswidrig verletzt sei. Sowohl Inhalt als auch Titel des Films wiesen unverkennbar auf den Kläger hin, ohne dass es auf die Nennung seines Namens ankomme. Der Film beeinträchtige nach dem unwidersprochen vorgetragenen Filminhalt sämtliche geschützten Sphären des Persönlichkeitsrechts, insb. die Intimsphäre des Klägers. Dieser Eingriff sei auch rechtswidrig und weder durch das in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG normierte Grundrecht der Freiheit der Berichterstattung durch Film noch durch die gem. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährte Kunstfreiheit gerechtfertigt. Die Freiheit der Kunst sei nicht schrankenlos gewährt und müsse dem ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht gegenübergestellt werden. Schwerwiegende Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts seien durch die Kunstfreiheit nicht zu rechtfertigen, wobei die Beurteilung kunstspezifischen Gesichtspunkten Rechnung tragen müsse. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung aller Umstände des Einzelfalles sei zu beachten, ob und inwieweit das Abbild "gegenüber dem Urbild" durch die künstlerische Gestaltung des Stoffs und seiner Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus des Kunstwerks so verselbständigt erscheine, dass das individuelle Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der "Figur" objektiviert sei. Mit der Figur des Täters Oliver Hagen habe der Film keine ggü. dem Urbild des Klägers verselbständigte Kunstfigur geschaffen. Vielmehr werde dessen Lebensgeschichte, seine Beziehung zu dem späteren Opfer einschließlich des Tathergangs nahezu detailgetreu wiedergegeben. Dieses Portrait in Filmform müsse der Kläger nicht dulden, zumal es sich durch die Vermittlung sexueller Vorstellungen und Bedürfnisse sowie der Darstellung sexueller Handlungen als Eingriff in die Intimsphäre des Klägers und damit als besonders schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung ausweise. Eine andere Beurteilung rechtfertige sich auch nicht daraus, dass über die Persönlichkeit des Klägers sowie über seine Tat eine intensive Berichterstattung stattgefunden habe, weil eine Abhandlung des Klägers und seiner Tat in einem Horrorfilm nicht der Information des Zuschauers, sondern der reinen Unterhaltung diene, wobei die Beklagte ausschließlich kommerzielle Interesse verfolge. Soweit der Kläger selbst Interviews gewährt habe und künftig eine weitere Darstellung seiner Person in seiner Tat in der Öffentlichkeit beabsichtige, habe er lediglich zu erkennen gegeben, dass er grundsätzlich mit einer öffentlichen Auseinandersetzung seiner Person und seiner Tat in der Öffentlichkeit einverstanden sei, keinesfalls aber sein Einverständnis mit der Veröffentlichung in jedweder Form erklärt.
Aus diesen Gründen könne sich die Beklagte auch nicht auf das Grundrecht der Freiheit der Berichterstattung durch Film berufen.
Mit ihrer Berufung rügt die Beklagte Verstöße gegen § 308 ZPO und gegen § 253 ZPO. Sie ist der Auffassung, der Kläger wolle den Film lediglich verbieten lassen, soweit er seine wesentlichen Lebensbilder oder Persönlichkeitsmerkmale enthalte. Hierüber sei das LG hinausgegangen. Zudem sei der Antrag unbestimmt.
Darüber hinaus rügt die Beklagte, dass das LG den Film unter Verstoß gegen § 286 ZPO nicht angesehen habe. Tatsächlich sei nicht auf die reklamehafte Anpreisung des Verleihers als Real-Horrorfilm abzustellen, sondern auf den Inhalt des Filmes selbst, der ein vielschichtiges Psychogramm enthalte. Maßgeblich sei die Gesamtbetrachtung des Fi...