Leitsatz (amtlich)
Zum Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch Verfilmung der Lebensgeschichte und einer begangenen Straftat (Film Rohtenburg).
Verfahrensgang
LG Kassel (Beschluss vom 13.01.2006; Aktenzeichen 5 O 55/06) |
Tenor
Der Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Kassel vom 13.1.2006 wird aufgehoben.
Der Verfügungsbeklagten wird bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes i.H.v. bis zu 250.000 EUR oder einer ersatzweise zu verhängenden Haftstrafe bis zur Dauer von 6 Monaten für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt, den auf Grundlage wesentlicher Lebensbilder und Persönlichkeitsmerkmale des Verfügungsklägers mit den Hauptdarstellern Thomas Kretschmann, Thomas Huber, Keri Russell und in Regie von Martin Weisz hergestellten Film "Rohtenburg" (englischer Titel: Butterfly - a Grimm Lovestory) zu vervielfältigen, vorzuführen, zu bewerben oder auf andere Weise in Verkehr zu bringen beziehungsweise vervielfältigen, vorführen, bewerben oder auf andere Weise in den Verkehr bringen zu lassen.
Die Verfügungsbeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
Der Verfügungskläger nimmt die Verfügungsbeklagte, eine in Kalifornien ansässige Filmproduktionsgesellschaft, im Wege der einstweiligen Verfügung in Anspruch. Der Verfügungsbeklagten soll verboten werden, den im Urteilsausspruch näher bezeichneten Film mit dem deutschen Titel "Rohtenburg" zu vervielfältigen, vorzuführen, zu bewerben oder auf andere Weise in den Verkehr bringen bzw. vorgenannte Handlungen durch Dritte vornehmen zu lassen.
Die Antragsgegnerin ist Produzentin des vorgenannten Films. Der Filmverleih in Deutschland wird von der S. AG betrieben. Der Kinostart ist für den 9.3.2006 vorgesehen.
Der Filmverleih hat den Film entsprechend dem Internetauszug (Bl. 36 d.A.) wie folgt vorangekündigt:
"Inspiriert von wahren Ereignissen drehte Videoclip-Spezialist Martin Weisz in seinem Spielfilmdebüt einen an Intensität kaum zu überbietenden Real-Horrorfilm, der im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut geht."
Der Inhalt wird folgendermaßen beschrieben:
"Seit Jahren lebt die junge Amerikanerin Katie Armstrong in Deutschland, wo sie unter dem geachteten Prof. Zeck Kriminalpsychologie studiert. Längst hat Katie die Hoffnung aufgegeben, sich jemals wieder verlieben zu können - all ihre vergangenen Beziehungen sind kläglich gescheitert. Umso mehr konzentriert sie sich auf ihr Studium. Für ihre Abschlussarbeit hat sich Katie ein eigenwilliges Thema ausgesucht: den homosexuellen Kannibalenkiller Oliver Hagen. Er hat traurige Berühmtheit erlangt, weil er im Internet nach einem Liebhaber gesucht hatte, der sich bereit erklärt, sich ermorden und verspeisen zu lassen - als ultimativen Liebesakt, als Selbstopfer, wie es noch keines gab. Schnell entwickelt die junge Studentin eine regelrechte Obsession für das perverse Leben Olivers. Sie forscht in seiner Kindheit und der Kindheit seines Opfers, um herauszufinden, was ihn zu dem werden ließ, was er heute ist. Systematisch folgt sie den Spuren der beiden Männer: ihre Herkunft, ihre Berufe, ihre Beziehungen, von ihrer Kindheit bis ins Hier und Jetzt. Mehr und mehr verliert sich Katie in deren Leben. Mit jeder neuen Entdeckung taucht sie tiefer ein in eine Welt, die bestimmt wird von unnatürlichen Gelüsten, krankhaften Bedürfnissen und der Lust an Schmerz. Katie lässt sich fallen ... und entdeckt einen Lebensentwurf, der weit entfernt ist von allem, was sie jemals gekannt hat - und sie auf bizarre Weise immer mehr fasziniert. Schließlich findet sie ein Videotape, das Oliver gedreht hat und die letzten Momente im Leben seines Opfers dokumentiert. Für Katie ist es ein Blick in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele: Sie droht den Verstand zu verlieren ... und muss nun die Kraft finden, sich selbst aus dem schlimmsten Horror zu befreien, der seine Klauen bereits nach ihr ausgestreckt hat ..."
Der Verfügungskläger, der in den Medien wiederholt als "der Kannibale von Rotenburg" bezeichnet worden ist, befindet sich in Untersuchungshaft. Er ist wegen Mordes, begangen an Bernd Brandes, angeklagt. Die Strafverhandlung findet derzeit vor dem LG Frankfurt statt.
Der Verfügungskläger trägt vor, der Film halte sich sehr eng an seine Lebensgeschichte und seine Persönlichkeitsmerkmale. Die von dem Schauspieler Kretschmann gespielte Hauptfigur des Films weise schon in Maske und Garderobe eine große Ähnlichkeit zu seinem Erscheinungsbild auf. Die Schilderung der Stationen in der Lebensgeschichte der Hauptfigur des Films, der dort geschilderte Tathergang von der Internetbekanntschaft an bis zu den körperlichen Exzessen entspreche in wesentlichen Sequenzen des Films nahezu detailgetreu seiner Vita und seiner Tat. Es könne deswegen keinem Zweifel unterliegen, dass die Verfügungsbeklagte sein Leben und seine Tat verfilmt habe, wobei dies in zum Teil reißerischer, verzerrter und ihn bloßstellender Weise geschehen sei. Daran änderten auch nichts die anders lautenden Namen der Personen des Films und die dort gewählte Erzählperspektive ein...