Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, inwieweit geltend gemachte Informationsmängel und Auskunftspflichtverletzungen Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe i.S.v. §§ 241 und 243 AktG darstellen können.
Normenkette
AktG §§ 131, 241, 243, 246; HGB § 319 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 3-9 O 98/03) |
Nachgehend
Gründe
I. Die Kläger waren und sind Aktionäre der Beklagten.
Zwischen dem Kläger zu 1.) und der Beklagten sowie deren früherem Aufsichtsratsvorsitzenden X, ist ein Schadensersatzanspruch anderweitig rechtshängig, teilweise zum Grund inzwischen rechtskräftig zuerkannt, aus einer Interviewäußerung des X im Fernsehen am 4.2.2002, die die Kreditwürdigkeit des Klägers zu 1.) und der von ihm beherrschten Unternehmen betraf. Die Schadensersatzklage war noch vor der Hauptversammlung des Jahres 2002 wie auch eine Strafanzeige eingereicht worden. Die Klage und die Strafanzeige wurden bereits in der Hauptversammlung 2002 thematisiert, woraus die Kläger unwahre Äußerungen des X herleiten. Im Zusammenhang mit dem finanziellen Niedergang der Unternehmensgruppe des Klägers zu 1.) wurde von der Beklagten eine Beteiligung verwertet, die die A-... GmbH, deren mittelbarer Alleingesellschafter der Kläger zu 1.) war, mit ca. 40 % an der B-... AG hatte. Die Beklagte hatte sich für ein Darlehen ein Pfandrecht an den von der A-... GmbH gehaltenen Aktien der B. AG bestellen lassen. Bei der Verwertung ersteigerte die Beklagte, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unbestritten vorgetragen, die Anteile selbst, und zwar für einen Preis, der ca. 60 Mio. EUR niedriger als die abgesicherte Kreditsumme war. 10 % der Anteile des B-... wurden später von der Beklagten an ... B veräußert, die dadurch Mehrheitsaktionärin der B-... AG wurde. Weitere Anteile wurden an verschiedene Interessenten veräußert. Bei einer Veräußerung einer bedeutenden Gesamtbeteiligung liegt der Preis je Aktie regelmäßig über demjenigen bei Veräußerung in Einzelchargen (in der Bezeichnung der Parteien: "Paketzuschlag").
In der Hauptversammlung vom 10.6.2003, an der ca. 4.000 Aktionäre teilnahmen, stellten der jetzige Prozessbevollmächtigte der Kläger zu 1.) und 2.), Rechtsanwalt RA1, für die Klägerin zu 2.) eine Reihe von Fragen, wie auch der Kläger zu 3.) als Aktionär weitere zahlreiche Fragen anbrachte. Außerdem stellte - neben anderen Aktionären - eine Rechtsanwältin RA2 für einen Aktionär Fragen. Umstritten ist, ob ein Minderheitenverlangen zur Einzelentlastung des Vorstands von der Klägerin zu 2.) geltend gemacht wurde und wie der Versammlungsleiter, der oben erwähnte Aufsichtsratsvorsitzende, auf einen Antrag des Klägervertreters zur Einzelwahl der Aufsichtsratsmitglieder reagierte. In der Abstimmung wurden zu TOP 3 der Vorstand und zu TOP 4 der Aufsichtsrat entlastet. Zu TOP 5 wurde die Wirtschaftprüfungsgesellschaft ... für das laufende Geschäftsjahr zum Abschlussprüfer gewählt und schließlich wurde entsprechend einer Anordnung des Versammlungsleiters der neue Aufsichtsrat in einer Listenwahl bestätigt. Ob die Kläger vor oder nach den Beschlussfassungen Widerspruch einlegten, ist streitig.
Der zur Beurkundung der Hauptversammlung zugezogene Notar, Rechtsanwalt RA3, fertigte in der Hauptversammlung auf einer vorformulierten Vorlage eine handschriftliche Aufzeichnung und unterzeichnete diese unmittelbar nach Ende der Hauptversammlung. Wie er weiter damit verfuhr, ist umstritten. Jedenfalls ist in seiner Urkundenrolle unter dem Datum des 10.6.2003 eine Niederschrift der Hauptversammlung eingetragen. Der Notar fertigte später - datiert mit dem 10.6.2003 - nach Rücksprachen mit der Beklagten ein Schriftstück, in das die für die Niederschrift in der Urkundenrolle vorgesehene Urkundenummer eingetragen wurde und das wie ein Original zur Urkundensammlung genommen wurde. Insoweit wird auf das in Abschrift als Anlage K 10 vorgelegte Schriftstück verwiesen (Bl. 188 ff. d.A.).
Die Kläger haben mit ihren rechtzeitig eingereichten Klagen die Beschlüsse zur Entlastung (TOP 3 und 4) sowie die Kläger zu 1.) und 2.) zusätzlich zur Bestellung des Abschlussprüfers und zur Aufsichtsratswahl angegriffen. Als Anfechtungsgründe sind Informationsmängel und Auskunftspflichtverletzungen geltend gemacht worden, der Kläger zu 3.) hat zusätzlich Nichtigkeit eingewandt, weil der Notar die Stimmauszählung nicht ausreichend beaufsichtigt habe. Ob die Klageschrift des Klägers zu 3.) dem Aufsichtsratsvorsitzenden unverzüglich zugestellt worden ist, ist umstritten. Später haben die Kläger ihre Angriffe auch auf eine Nichtigkeit wegen eines Beurkundungsmangels gestützt.
Die Kläger haben - unter Wiedergabe der Beschlussinhalte - beantragt, die Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 10.6.2003, durch welche die Entlastung des Vorstands (TOP 3) und des Aufsichtsrats (TOP 4) erteilt wurde, für nichtig zu erklären, die Kläger zu 1.) und 2.) darüber hinaus, die Beschlüsse, durch welche die Abschlussprüfer bestellt worde...